August Dickmann wurde am 15.9.1939 als erster Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen von den Nationalsozialisten im KZ Sachsenhausen hingerichtet.
August Dickmann (29 J) wurde am 15.10.1936 aufgrund einer Anzeige wegen Verbreitung illegaler Schriften in Dinslaken verhaftet. Das Landgericht Duisburg verurteilte ihn am 13.01.1937 zu einem Jahr Gefängnis wegen illegaler Betätigung für die Internationale Bibelforscher Vereinigung (Zeugen Jehovas). Nach Verbüßung der Haftstrafe wurde er in „Schutzhaft“ genommen und in das KZ Sachsenhausen überstellt. Nach Kriegsbeginn übersandte ihm seine Frau den Wehrpass zur Unterschrift. Er weigerte sich diesen zu unterschreiben. Als Grund gab er an, dass er niemals als Soldat im Krieg Menschen töten werde.
Gedenkveranstaltung: Sachsenhausen
Anlässlich des 85. Jahrestages der Ermordung von August Dickmann wurde am 15.9.2024 die Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ in der Gedenkstätte Sachsenhausen eröffnet. Auf 33 Text- und Bildtafeln wird die Verfolgungsgeschichte der seit 1933 verbotenen Religionsgemeinschaft in der Zeit des Nationalsozialismus berichtet.
Zwischen 1936 und 1945 waren über 890 Zeugen Jehovas im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Sie bildeten eine eigene Häftlingsgruppe und wurden durch einen lilafarbenen Winkel auf der Häftlingskleidung gekennzeichnet.
Die Gedenkfeier begann durch einleitende Worte von Enrico Heitzer (Gedenkstätte Sachsenhausen) und Carsten Loth (Zeugen Jehovas).
Einleitung von Enrico Heitzer
Enrico Heitzer machte darauf aufmerksam, dass die Erschießung von August Dickmann von Heinrich Himmler angeordnet wurde. Eine Gerichtsverhandlung habe nicht stattgefunden. In einigen deutschen Zeitungen und im Rundfunk sei die Erschießung bekannt gegeben worden. Als Grund der Hinrichtung wurde zum einen seine „Weigerung seine Pflicht als Soldat zu erfüllen“ genannt, sowie seine Zugehörigkeit zur Religionsgemeinde der Zeugen Jehovas (damals auch Bibelforscher genannt).
Auch im Ausland habe man von der Ermordung Notiz genommen. Die New York Times habe am 17.9.1939 darüber unter der Überschrift „Germans execute objector to war“ berichtet.
Die Ermordung von August Dickmann habe nicht nur eine Bedeutung in der Geschichte der Zeugen Jehovas, sondern auch darüber hinaus für den Werdegang des nationalistischen Terrorregimes. Sie stände damit am Anfang der Radikalisierung der Verfolgungspraxis des sogenannten „Dritten Reiches“.
In der Gedenkstätte Sachsenhausen sei Ende September 1999 anlässlich des 60. Todestages von August Dickmann ein Gedenkstein eingeweiht worden.
Einleitende Worte von Carsten Loth
Carsten Loth (Sprecher, Zeugen Jehovas) wies daraufhin, dass die Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ ein Zeugnis eines beeindruckenden gesellschaftlichen Engagements sei. Es hätte sogar Einfluss auf die Gestaltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Die Erfahrungen der Vergangenheit würden die Gefahren der Gegenwart verstehen helfen.
Musikalisches Rahmenprogramm
Als musikalischer Rahmen der Veranstaltung wurden zwei Lieder gespielt. Eines der Lieder trug den Titel „Vorwärts Ihr Zeugen“. Es wurde von Erich Frost
im KZ komponiert. Nach Kriegsausbruch befand auch er sich im KZ Sachsenhausen. Das Interview mit Erich Frost (verstorben) über Entstehungsgeschichte des Liedes wurde eingespielt. [Anm.: anhörbar unter: https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn719265 ]
Referat Dr. Hans Hesse
Der Historiker Dr. Hans Hesse begann sein Referat mit einer Passage aus dem Roman „bis auf weiteres…“ von Valentin Schwan (Pseudonym für Hans-Otto Körbs, Kommunist). Hans-Otto Körbs war eine Zeit lang im KZ Esterwegen und danach ebenfalls im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Er wurde bereits im Dezember 1938 entlassen.
Interessant ist die im Buch enthaltene Unterhaltung zwischen dem Kommandanten in Esterwegen und einem Bibelforscher (Zeuge Jehovas) noch vor Kriegsausbruch. Der Bibelforscher erklärte mutig, dass er auch im Falle eines Krieges das Gebot „Du sollst nicht töten“ beachten werde. Der Kommandant drohte ihm, dass er mit dem Tod rechnen müsse, sollte er sich im Kriegsfall, weiterhin weigern.
Hans Hesse wies auf die Parallele zwischen der Romanpassage und der tatsächlichen Erschießung von August Dickmann wegen Kriegsdienstverweigerung im KZ Sachsenhausen hin.
Insgesamt seien mindesten 282 Zeugen Jehovas als Kriegsdienstverweigerer ermordet worden.
Einer von denen, die das Todesurteil erhielten, sei Horst Schmidt. Er habe im Zuchthaus Brandenburg-Görden auf seine Hinrichtung gewartet. Am 20.4.1945 seien 28 Männer hingerichtet worden, auch die Mithäftlinge in seiner Zelle. Er habe überlebt [Anm.: er wurde wenige Tage später von der Roten Armee befreit].
Auch Emmy Zehden, die Adoptivmutter von Horst Schmidt, sei wegen Wehrkraftzersetzung in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden. Sie habe zwei Kriegsdienstverweigerern geholfen, sich zu verstecken. Die Straße, die zur Hinrichtungsstätte in Berlin Plötzensee führt, sei in „Emmy-Zehden-Weg“ benannt worden. Außerdem gäbe es in Berlin-Spandau für Horst Schmidt und seine Adoptiveltern Stolpersteine.
Ein weiterer Zeuge Jehovas, der den Kriegsdienst verweigert habe, sei Gustav Stange. Dieser habe nicht überlebt. Vor seinem Tod sei er mehrfach vom Stuttgarter Stadtpfarrer Rudolf Daur in der Haft besucht worden. Nach der Hinrichtung habe sich dieser veranlasst gefühlt der Witwe einen Brief zu schreiben. Er habe erklärt, dass er die Ansicht ihres Mannes zwar nicht ganz teilen würde, aber sich mit ihm „im tiefsten Innern verbunden“ fühle. Er habe der Witwe auch von der Kriegsgerichtsverhandlung berichtet. In der Verhandlung sei ihr Mann gefragt worden, was denn wäre, wenn alle Menschen den Kriegsdienst verweigern würden. Er habe geantwortet, dass dann der Krieg gleich zu Ende wäre.
Hans Hesse erinnerte daran, dass in der Nachkriegszeit die Erinnerung an die Kriegsdienstverweigerer und deren Schicksal in der NS-Zeit noch sehr präsent war. Dies sei in die Diskussionen um das Grundgesetz eingeflossen.
Der spätere Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes sei von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) am 30.11.1948 in der Sitzung des Grundsatzausschusses eingebracht worden. Der Artikel lautet: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden, das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
Das Thema Kriegsdienstverweigerung sei aber schon viel früher in dem Ausschuss behandelt worden. Der SPD-Abgeordnete Hans Wunderlich habe sich für eine individuelle Kriegsdienstverweigerung ausgesprochen. Er führte an, dass er miterlebt habe, wie man mit den Ernsten Bibelforschern (Zeugen Jehovas) im Dritten Reich umgegangen sei. Sie seien „reihenweise“ erschossen worden; sie seien aber mit großer Tapferkeit für ihre Glaubensüberzeugung gestorben.
Hans Hesse sieht hier die Verknüpfung der Idee eines im Grundgesetz zu verankerndem Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit der NS-Verfolgung der Zeugen Jehovas.
Kriegsdienstverweigerer hätten eine herausragende Rolle in der Gedenklandschaft zur NS-Verfolgung der Zeugen Jehovas gespielt. Von den aktuell ca. 390 verlegten Stolpersteinen für Zeugen Jehovas sind ca. 15% den kriegsdienstverweigernden Zeugen Jehovas gewidmet. Die ersten legal verlegten Stolpersteine seien in Österreich für die beiden Kriegsdienstverweigerer Johann und Matthias Nobis verlegt worden.
In Österreich sind von den Stolpersteinen für Zeugen Jehovas 70% für kriegsdienstverweigernde Zeugen Jehovas verlegt worden.
Durch diese Erinnerungsform an Kriegsdienstverweigerer sei längst nicht alles gut, denn Kriegsdienstverweigerung sei kein historisches Problem.
In der DDR habe es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gegeben. Auch heute sei es für Kriegsdienstverweigerer nicht einfach. Kriegsdienstverweigerer aus der Ukraine und Russland bekämen in Deutschland nicht automatisch einen Asylstatus.
In Ländern wie z.B. Russland, Eritrea oder Aserbaidschan wäre eine Kriegsdienstverweigerung nahezu unmöglich.
Für die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl wäre es ein bedeutsames friedenspolitisches Signal, wenn alle, die sich dem Einsatz im Krieg verweigern, auch Schutz und Asyl erhalten würden.
Für Hans Hesse habe das Deutschland nach 1945 die richtigen Schlussfolgerungen aus den grausamen Verfolgungen der Kriegsdienstverweigerer, zu denen die Zeugen Jehovas gehören, gezogen. Das heutige Deutschland hingegen täte sich schwer damit, diese Schlussfolgerungen den aktuellen Entwicklungen anzupassen und umzusetzen.
Hans-Joachim Rehwald
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung berichtete Hans-Joachim Rehwald, der Sohn von Josef Rehwald, dass zwei seiner Onkel durch die Nazis hingerichtet worden seien. Eine Tante, sei an den Folgen der Haft gestorben und ein Onkel habe den Todesmarsch überlebt. Sein Vater sei im April 1939 in das Konzentrationslagern Sachsenhausen überstellt worden. Er habe bei der Hinrichtung August Dickmanns zusehen müssen.
In einem Video-Interview [Anm.: Transkript eines ähnlichen Interviews, Auszug, Genehmigung Fritz Poppenberg] kam der Augenzeuge Josef Rehwald (verstorben) selbst zu Wort. Er berichtete eindrücklich von der Erschießung August Dickmanns.
Hans-Joachim Rehwald bedauert zu wenig bei seinem Vater nachgefragt zu haben. Aus der Verfolgungsgeschichte seines Vaters habe er die Lehre gezogen, dass es möglich sei, für seine religiös motivierte Haltung mit allen Konsequenzen einzustehen. Dies setze eine persönliche Verantwortung vor Gott voraus.
Am Ende der Veranstaltung wurde die Ausstellung „Standhaft trotz Verfolgung“ eröffnet.
© Ingeborg Lüdtke
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Weiterführende Links:
https://alst.org/aktuelles/gedenken-zum-85-jahrestag-der-erschiessung-august-dickmanns/ https://www.youtube.com/watch?v=nS9kIly1B0c