70. Frankfurter Buchmesse (2018)

Anreise und Ankunft

Nun ist es wieder soweit. Die 70. Frankfurter Buchmesse hat geöffnet. Es ist meine 40. Reise zur Frankfurter Buchmesse: Vierzig Mal stand ich schon vor der Frage „Welche Schuhe ziehe ich an?“ Diesmal fällt mir die Entscheidung besonders schwer, denn um kurz vor 7 Uhr zeigt das Thermometer 7 ° an, aber es soll ein warmer sommerlicher Herbsttag in Frankfurt werden. Ich entscheide mich für den Ballerina und Kniestümpfe und  ziehe diese über die Strumpfhose.

Der Zug ist pünktlich. Laut Durchsage im Zug kommen wir sogar 2 Minuten früher als geplant in Frankfurt an. Während ich mich Richtung Ausstieg begebe, sehe ich links in dem Abteil meine Vorgesetzte und eine Kollegin. Wir sprechen noch kurz miteinander. Dann trennen sich unsere Wege.

Im Messe-Torhaus angekommen, treffe ich kurze Zeit später auf der Treppe unsere Geschäftsführerin, die zu einem Termin eilt. So eilig habe ich es nicht, da mein erster Termin erst um 10 Uhr beginnt. Aber wo bitteschön ist in der Halle 3.1 der Raum „Resonanz“? Ausgeschildert ist er nicht und auf dem Buchmesseplan gibt es keinen Hinweis. Nach mehrmaligem Fragen werde ich fündig. Anderen Kollegen*innen und einem Referenten geht es ähnlich, sie treffen so nach und nach während der Veranstaltung ein.

Marrakesch-Vertrag

Das Thema der Veranstaltung lautet „Anpassung des deutschen Urheberechtsgesetzes – Chancen und Herausforderung des Marrakesch-Vertrages“. Wieso eigentlich Marrakesch-Vertrag? Das klingt ein wenig nach 1001 Nacht, aber damit hat er wenig zu tun. Der völkerrechtliche Vertrag zum Urheberrecht über die Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen wurde am 27. Juni 2013 in Marrakesch abgeschlossen. Er soll in den nächsten Tagen auch in der EU (Oktober 2018) ratifiziert werden.

Elke Dittmer, Geschäftsführerin der Stiftung Centralbibliothek für Blinde sowie der Norddeutschen Blindenhörbücherei e.V. (NBH) und Vorsitzende der Mediengemeinschaft für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen (MEDIBUS e.V.) moderiert die Veranstaltung.

Jürgen Dusel ist der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Er ist selbst sehbehindert. Sein Motto lautet „Demokratie braucht Inklusion“. Eine Gesellschaft, die nicht inklusiv sei, könne von Demokratie nicht sprechen. Auch für  Blinde und Sehbehinderte gelten die Grundrechte: Selbstbestimmung, freie Meinungsbildung und das Recht auf Bildung und Selbstbestimmung. Die Aufgabe des Staates sei es, dafür zu sorgen, dass diese Rechte alle nutzen können. Jeder müsse den gleichen Zugang zur Kultur erhalten.  Bisher ständen Blinden und Sehbehinderte nur 5 % aller veröffentlichten Werke in einem barrierefrei zugänglichen Format zur Verfügung, besonders bei Fachbüchern bestände ein Mangel. Verlage seien nicht verpflichtet, Bücher im zugänglichen Format vorzubereiten. Laut § 14 Absatz 2 des Grundgesetzes verpflichte Eigentum aber. Sein Gebrauch solle zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Susanne Barwick ist die stellvertretende Justiziarin der Rechtsabteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Sie teilte mit, dass sich die Überschrift des § 45 a des Urheberrechtsgesetzes in „Behinderte Menschen“ geändert habe. Auch weist sie auf die Verpflichtung des Eigentums hin, dies könne bedeuten, dass der Urheber durch eine gesetzliche Schranke ohne Bezahlung bei der nichtkommerziellen Nutzung bliebe. [Anm.: Tatsächlich erhält der Urheber trotzdem eine Vergütung. Um ein barrierefreie Werk herzustellen, wird in der Regel das originale Buch von Blindenbibliotheken und sonstige Stellen, die in barrierefreie Formate zu übertragenen Werke umwandeln, selbst gekauft. Hinzu kommen die Vergütungen über die Geräteabgaben für die Produktion und den Empfang der barrierefreien Fassungen.]

Nach der Ratifizierung des Vertrages von Marrakesch in Deutschland dürften staatliche Einrichtungen und gemeinnützige Organisationen, die Dienstleistungen in Bezug auf Bildung, pädagogische Schulung, adaptives Lesen oder Zugang zu Informationen zugunsten von blinden, sehbehinderten oder anderweitig lesebehinderten Personen anbieten, veröffentlichte Werke ohne die Erlaubnis des Inhabers des Urheberrechts in einem zugänglichen Format vervielfältigen oder verbreiten. Es gäbe keinen Vorrang von Lizenzen. Derjenige, der das barrierefreie Produkt herstelle, müsse nicht mehr prüfen, ob es bereits ein entsprechendes Produkt gäbe. Es solle aber eine verwertungspflichtige Schranke mit Abrechnung über die VG Wort geben.

Prof. Dr. Thomas Kahlisch ist Direktor der Deutschen Zentralbücherei für Blinde und Vertreter der Mediengemeinschaft für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen (MEDIBUS e.V.). Es stellte fest, Produkte wie Hörbücher, Braille-Bücher etc. seien im großen Stil nicht umsetzbar, weil die Aufbereitung zu zeitintensiv seien. Neue Angebote nach der Ratifizierung des Marrakesch-Vertrages könnten sein: Großdruckausgaben, barrierefreie E-Books (z.B. durch Einstellung der Farbe oder Anpassung der Kontraste auf dem Tablet) oder ein internationaler Austausch durch Verleihen von barrierefreien Inhalten.

Dr. Victor Wang ist Leiter der Abteilung „neue Produkte print & digital“ im Böhlau Verlag sowie als Leiter der Peergroup Produktion in der IG Digital. Er wies auf die Checkliste für E-Pub 3 hin. Die Peergroup Produktion in der IG Digital hat diese Handreichung  unter Mitwirkung der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig (DZB) erstellt. Das übliche Format für E-Book ist das PDF-Format.  Würde man eine barrierefreie PDF für Blinde, seh- und lesebehinderte Menschen erstellen, benötige man einen Druckkostenzuschuss. Eine Förderung durch den Gesetzgeber wäre wünschenswert. Die Publikationsform „Open Access“ sollte auch barrierefrei sein. Open Access sei zwar für die Leser frei, aber das Publizieren sei nicht kostenlos.

Dr. Ilas Körner-Wellershaus ist Mitglied der Geschäftsleitung des Ernst Klett Verlags und Vorstandsvorsitzender des Verbandes Bildungsmedien. Er weist auf die heutigen didaktischen Konzepte in den Schulbüchern und die damit verbundenen Probleme hin. Oft seien die Bilder ohne dazugehörigen Text. Bilder müsste man für Blinde und Sehbehinderte als Text beschreiben. Allerdings würden die Bilder heute als Gesprächsansatz dienen und könnten deshalb nicht in Textform erläutert werden.

Sarah Bohnert ist Mitarbeiterin der Deutschen Zentralbücherei für Blinde im Projekt „BACC“. Sie stellt kurz das aktuelle Projekt „BACC – Born Accessible Content Checker“ vor.  Es sei ein Prüfwerkzeug mit dem Verlage feststellen könnten, ob ihre Dateien den Anforderungen entsprächen.

Lob und Angebot

Nach der Veranstaltung spreche mit dem neben mir sitzenden Rechtsanwalt und Verleger und seiner Kollegin. Ich habe schon zwei Seminare bei ihm besucht. Er lobt meine Aktivitäten im Lizenznetz und meine Radiotexte über das Urheberrecht. Für eine Nicht-Juristin habe ich ein gutes Wissen. Er bietet mir an, einmal gemeinsam mit ihm ein Seminar zu gestalten. Das Lob und das Angebot freuen mich sehr, aber ich lehne ab. Es ist doch etwas anderes, wenn man fünf Praktikanten, Volontäre oder neue Mitarbeiter schult, als wenn man vor einem größeren Auditorium etwas vortragen muss.

Fragestunde rund um Bildrechte

Ich verlasse die Halle 3 und gehe in Halle 4 C zum Raum „Consens“. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass man früher viel schneller von Halle 5 in Halle 6 gekommen ist, als nun von Halle 3 in Halle 4.

Der  Rechtsanwalt Dr. Adil-Dominik Al-Jubouri vom Börsenverein beginnt gleich mit einer schlechten Nachricht. Bildnisse von Personen seien als personenbezogene Daten anzusehen und daher seien auch die Regelungen der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hier einschlägig. Bisher habe in erster Linie das Kunsturhebergesetz (KUG)  in den Paragrafen 22 und 23 das Veröffentlichen von Fotos geregelt. Die Abgebildete Person müsse demgemäß ihre Einwilligung zur Veröffentlichung geben. Nur wenige Ausnahmen machen es möglich ohne Einwilligung der Person das Bild zu veröffentlichen. Die Einwilligung konnte man z.B. durch Abschluss eines Modell-Release-Vertrages erhalten. Früher konnte diese einmal gegebene Einwilligung laut KUG nur widerrufen werden, wenn sich die Umstände der betroffenen Person derartig geändert haben, dass das Veröffentlichen das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt würden oder aus geänderter Überzeugung. Laut dem aktuellen Datenschutzgesetz sei eine Einwilligung jederzeit widerruflich. Dies würde bei einer Webseite keine nennenswerten Probleme verursachen, weil das Foto jederzeit von der Website genommen werden kann, aber bei einem bereits erschienenen Buch ist die Sachlage anders.

Es entstände die Frage, wie man dann damit umgehen solle:

Die Buchbestände einstampfen oder das Bild schwärzen oder erst bei der nächsten Auflage herausnehmen?

Was sei, wenn Fotos vor dem 25.Mai 2018 erstellt wurden, aber das Buch noch nicht veröffentlicht worden sei? Wenn von den jeweils auf den Fotos abgebildeten Personen seinerzeit die Einwilligung rechtmäßig eingeholt worden ist, könne man davon ausgehen, dass diese Einwilligung auch unter der DSGVO ihre Geltung behält. Ratsam wäre es jedoch, wenn man die Pflichtinformationen zum Datenschutz nach der DSGVO den abgebildeten Personen noch zur Verfügung stellte.

Mittlerweile habe das OLG Köln bestätigt, dass das KUG neben der DSGVO jedenfalls im journalistischen Bereich weiterhin anwendbar ist (https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2018/15_W_27_18_Beschluss_20180618.html).

Wichtig sei es, im Rahmen des Erhalts der Einwilligung der abzubildenden Person auch die Datenschutzinformation zukommen lassen. Sie müsse u.a. darüber informiert werden, was man mit dem Foto machen möchte, und falls möglich, auch wie lange es genutzt werden soll. Außerdem müsse der Betroffene über seine Rechte informiert werden. Auch ein Hinweis auf die Datenschutzbehörde, bei der man sich beschweren könne, müsse enthalten sein.

Der Börsenverein habe vorerst nicht vor, ein Muster für eine Datenschutzerklärung für die Mitglieder des Börsenvereins des dt. Buchhandels zur Verfügung zu stellen. Grund dafür wäre die Tatsache, dass eine Datenschutzerklärung immer individuell angepasst werden müsste. Ein Muster für Datenschutzinformationen auf einer Website, das man anpassen könne, sei von Prof. Dr. Thomas Hoeren von der Universität Münster herunterladbar unter  https://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/lehre/materialien/musterdatenschutzerklaerung. Für den Bereich der Nutzung von Fotos sei dieses aber kaum fruchtbar zu machen, weil es eben für die Datenschutzinformationen beim Aufruf einer Website gelte.

Es werden noch viele Fragen gestellt, auf die noch keine abschließenden Antworten gegeben werden können, weil sich dazu bisher weder die Datenschutzbehörden erhellend geäußert haben, noch die Gerichte schon Gelegenheiten hatten, klärende Entscheidungen zu treffen.

Blick auf Autoren im Vorbeigehen

Während ich meinem persönlichen Veranstaltungsplan zu folgen versuche, komme ich an verschiedenen Podien vorbei. Ich sehe Tanjev Schultz (NSU Der Terror von rechts und das Versagen des Staates), Dunya Hayali (Haymatland bei Deutschlandfunk Kultur) und  Karl-Heinz Ott (Und jeden Morgen das Meer).

Forum Verlagsherstellung

Die Veranstaltung „Brauchen Verlage die Herstellung wirklich?“  ist bereits im vollen Gange, als ich dort eintreffe. Alle Stühle sind besetzt. Am Rand stehen viele Kollegen*innen. Langes Stehen macht mir Mühe. Für solche Fälle müsste man immer einen Sitzstock bei sich führen. Der Geräuschpegel ist durch angrenzende Veranstaltungen sehr laut. Ich stehe vorne rechts am Rand und habe sehr große Mühe etwas zu verstehen.

Es geht um die Frage, welches Know-how zukünftig in Verlagen wichtig ist und welche Bedeutung die Herstellung hat.

Es wird angeregt durch die geänderten Aufgaben einer Herstellungsabteilung auch den Begriff „Herstellung“ zu ersetzen.

Auch ist man der Meinung, dass man keine Generalisten brauche, denn keiner müsse alles können. Für bestimmte Aufgaben brauche man aber auch keine Spezialisten.

Mir stellt sich die persönliche Frage: Bin ich in meinem Beruf eine Generalistin oder Spezialistin? Ich würde mich als Generalistin mit speziellem Wissen bezeichnen.

Halle 3

Um wieder in die Halle 3 zu gelangen, überquere ich den Vorplatz zwischen den Hallen 3 und 4. Die Sonne meint es sehr gut mit uns Besuchern. Ich bin froh, dass ich mich für den bequemen Ballerina entschieden habe.

In Halle 3 befindet sich auch das ARD Forum, durch das ich gehen muss, um in die nächste Etage zu gelangen. Das Interview mit Christopher Schacht (Mit 50 Euro um die Welt) ist gerade beendet.

Auf dem Weg zum Stand der deutschen Bibelgesellschaft sehe ich auf den Podien Dörte Hansen (Mittagsstunde), Martin Amis (Im Vulkan), Reiner Engelmann (Der Buchhalter von Auschwitz – Oskar Gröning) und den Schauspieler und Regisseur Burghart Klaußner (Vor dem Anfang). Ich höre ihm ein wenig zu.

Mir fällt auch ein witziges Plakat mit einem Kater auf. Er trägt eine gelbe Wollmütze, ein weißes kurzärmeliges T-Shirt, eine blaue Jeans und schwarze Hosenträger. Der Plakattext lautet „LESEN statt LIKEN. <<Gegen den Strom – Bücher brauchen keine Steckdose>>. Wie wahr.

Am Stand der Bibelgesellschaft treffe ich die Kollegin leider nicht an. Eigentlich hatte ich gehofft, sie schon bei der Bildrechte-Fragestunde zu treffen.

Autorenlesung und Autorentreffen

Da ich jetzt noch etwas Zeit bis zum Autorentreffen habe, setzte ich mich auf einen freigewordenen Stuhl der Lesung von Reiner Engelmann (Der Buchhalter von Auschwitz – Oskar Gröning). Gerade beginnt die Diskussion mit den Zuhörern. Einige Punkte möchte ich gerne kurz persönlich mit ihm besprechen und warte nach der Lesung noch geduldig. Da auch ein Lehrer dieselbe Idee und der Autor sich eigentlich mit einer anderen Autorin verabredet hat, sitzen wir dann plötzlich alle am Stand der Bundeszentrale der politischen Bildung. Ich erfahre, dass Reiner Engelmann auch Studienfahrten nach Auschwitz anbietet. Eine solche Reise interessiert mich schon länger. Vielleicht gibt es ja nächstes Jahr die Gelegenheit, daran teilzunehmen.

So langsam wird es Zeit zum Autorentreffen von der Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht zu gehen. Obwohl ich zeitig dort ankomme, ist der Stand schon voller Autor*innen, Mitarbeiter*innen und Kollegen*innen anderer Verlage.

Rechtzeitig verlasse ich die Messe, um trotz eventueller Verspätungen von U-Bahnen zum Bahnhof zu kommen. Die erste U-Bahn ist aber leider brechendvoll. Ich fahre mit der nächsten Bahn. Meine Freude sehr pünktlich am Hauptbahnhof angekommen zu sein, wird durch die Verspätung meines Zuges getrübt. Aus den angekündigten 35 Minuten Verspätung  werden ungefähr 50 Minuten. Als Grund für die Verspätung wird ein technischer Defekt angegeben. Lieber eine lange Verspätung, als ein brennender ICE-Waggon.

© Ingeborg Lüdtke

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