Frauen-KZ Moringen, Teil 1

Die Sendung wurde am 26.Januar 2001 im StadtRadio Göttingen ausgestrahlt.

Moringen. Dieses kleine Städtchen liegt einige Kilometer nördlich von der Universitätsstadt Göttingen in Norddeutschland entfernt.“ (Hans Hesse)

(Anfangsgeräusche)

Sprecherin:

Moringen. Auf den ersten Blick eine ganz normale Kleinstadt.

Bei näherem Hinsehen stellt man fest: Moringen hat eine ungewöhnliche Geschichte. Diese Geschichte wird von vielen Bürgern immer noch verdrängt. Nur wenige mögen sich daran erinnern, dass es in Moringen ein KZ gegeben hat. Einmal im Jahr treffen sich ehemalige Inhaftierte in der KZ-Gedenkstätte in Moringen.
So auch wieder im September letzten Jahres (2000).

Die Kommunistin Hilde Faul, eine ehemalige Inhaftierte, sagte über das Erinnern:

„Ja, eigentlich große Erinnerungen an Moringen hat man freilich. Obwohl Sie müssen sich einmal vorstellen wie viele Jahre dazwischen sind und man ist alt, 85 Jahre, da funktioniert die Erinnerung nicht mehr so. Und wenn es funktioniert, dann braucht man lange Zeit bis sich die Erinnerung wieder entwickelt. Nein so schnell geht das nicht mehr.“

Sprecherin:

„Andererseits ist es auch ein Schutz für einen selber, das man viele schlechte Dinge vergessen kann.“

Hilde Faul:

„Ja, das ist ganz automatisch. Aber das was einem wirklich sehr kaputt gemacht hätte, das schaltet man aus, ohne sich das bewusst zu machen. Das schaltet das Gehirn scheinbar sowieso aus.

Sprecherin:

Der 27.Januar wurde von Roman Herzog zu einem Gedenktag erklärt. Der 27. Januar ist ein „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“. Ich möchte Sie deshalb einladen, sich gemeinsam mit mir an das Frauen-KZ Moringen zu erinnern. Erinnern möchte ich durch Gespräche mit Zeitzeuginnen, Historikern und Dokumenten.

(Musik: Eleni Karaindrou „Eternity and a Day“)

Sprecherin:

Werkhaus MoringenIn dem Werkhaus Moringen, mitten in der Stadt gab es seit dem 11.April 1933 ein frühes Konzentrationslager. Eigentlich waren es drei aufeinander folgende Konzentrationslager:

Der Historiker Jürgen Harder bemerkt in seiner Magisterarbeit dazu:

„Die Konzentrationslager in Moringen sind nicht alleine zu betrachten. Sie wurden im Provinzialwerkhaus in Moringen gegründet. Dieses war ein Werkhaus welches bereits lange Jahre zuvor bestand, so dass im April 1933 ein sogenanntes frühes KZ eingerichtet werden konnte. Dieses KZ bestand bis November 1933. Bereits im Sommer desselben Jahres wurden die ersten weiblichen Ravensbrück 039sogenannten Schutzhäftlinge in ein eigens für sie eingerichtete Frauenschutzhaftabteilung inhaftiert. Von Ende 1933 bis Anfang 1938 wurden im den Gebäuden des Werkhauses ein Frauen-KZ unterhalten. Es folgte von 1940 bis zum Ende des sogenannten Dritten Reiches ein Jugend-KZ für männliche Jugendliche. Ein Pendant sozusagen für weibliche Jugendliche bestand in Uckermark bei Ravensbrück.“

Sprecherin:

Wie bereits erwähnt, möchte ich Ihnen speziell über das Frauen-KZ Moringen berichten.

Der Historiker Hans Hesse erklärte zum Frauen-KZ folgendes:

„Dieses erste Frauen-KZ unterschied sich noch ganz erheblich von späteren wie z.B. Ravensbrück oder auch Auschwitz. So gab es in Moringen beispielsweise noch keine Häftlingskleidung und noch keine Winkel…. Und die SS bewachte dieses KZ auch noch nicht. In dieses erste Frauen-KZ kamen aber bereits Frauen, die wir bereits von den späteren Häftlingskategorien kennen. Insgesamt ca. 1350 Frauen in 5 Jahren von 1935 bis 1938.“

(Musik:Lied 171 Siegeslied)

Sprecherin:

Mit Jürgen Harder sprach ich über Gründe, die zur Verhaftung führten.

Sprecherin:

Und warum ist man jetzt als Frau in ein KZ gekommen?

Jürgen Harder:

Dafür gab es vielerlei Gründe. Es waren vielfach Übertretungen gegenüber den nationalsozialistischen Gesetzen und Verordnungen. Aber es konnte auch viel subtiler geschehen. Es reichte bereits in Gegenwart von anderen Personen gegen das Herrschaftssystem dem Führer oder Angehörigen ihres Machtapparates sich negativ zu äußern. Weitere Gründe waren die Verweigerung der Kriegsdienstes bzw. die Unterstützung des Mannes in seiner Intension. Weitere für die Inhaftierung in ein Schutzhaftlager war die politische Betätigung als Kommunistin z.B. oder Sozialdemokratin, grundsätzliche Verweigerungshaltung gegenüber den Machtansprüchen des Staates z.B. den Bibelforscherinnen, die Verweigerung des Luftschutzdienstes. Es gab sogenannte Luftschutzbeauftragte, in jedem Block, der zudem noch durch Blockwarte kontrolliert wurde. Wohnblock ist hiermit gemeint. Da sind verschiedene Arbeiten mit verbunden, die sind rein organisatorischer Art. Das z.B. Wassereimer bereitgestellt werden mussten. Es mussten Übungen abgehalten werden. Als Vorbereitung auf den kommenden Krieg und das bereits viele Jahre bevor der Krieg offiziell wurde. Weitere Gründe für eine Inhaftierung waren Weigerungen zu spenden. Offiziell waren das freiwillige Spenden, aber inoffiziell war es eine Zwangsmassnahme, z.B. für das Winterhilfswerk zu arbeiten und zu spenden, für die verschiedenen Massenorganisationen und der finanziellen Nöte so zu sagen einzutreten. Viele Gründe für die Inhaftierungen leiten sich auch aus den sogenannten Häftlingsgruppen ab.

(Musik: Daniel Kempin, Jüdische Musik)

Sprecherin:

Welche Häftlingsgruppen gab es im Frauen-KZ Moringen?

Jürgen Harder:

„Also in Moringen speziell gab es Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen, sogenannte Remigrantinnen, dass waren Jüdinnen und in männlichen Lagern auch Juden, die erst emigriert waren und nach einer gewissen Zeit dachten, die Verhältnisse in Deutschland hätten sich beruhigt und sie könnten zurück in ihre alte Heimat. Die wurden in Haft genommen und in Schutzhaftlager, sprich KZ eingewiesen bis sie entweder wieder abgeschoben bzw. die Abschiebung erkaufen konnten oder halt später in andere Lager mitunter auch in Vernichtungslager abgeschoben wurden. Weitere sind Rassenschänderinnen.“

Sprecherin:

Rassenschänderinnen waren Frauen, die mit Juden verheiratet waren oder eine außerehelichen Beziehung mit ihnen eingingen.

Jürgen Harder:

„Des weiteren kamen Prostituierte dazu, sogenannte Berufsverbrecherinnen, das waren Frauen, die mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, die nationalsozialistische Gesetze waren, sprich mehrfache kleinere Übertretungen konnten zu einer Stigmatisierung und Kriminalisierung als Berufsverbrecherinnen führen. Des weiteren eine sehr defuse Gruppe, die sogenannten Staatsfeindlichen, sprich die sich difitistisch oder staatsfeindlich geäußert hatten, und von Bekannten oder auch persönlichen Feinden denunziert worden waren. Die sogenannten Staatsfeindlichen waren eine erhebliche Gruppe. Dabei muss man auch sagen, dass es oft nicht klar zu trennen ist. Kategorisierungen wurden vielfach von den Nationalsozialisten vorgenommen und somit muss man sie mit äußerster Vorsicht betrachten. Besonders bei den sogenannten Asozialen. In Moringen waren mehrere minderjährige Frauen inhaftiert, die nicht in die Fürsorge sollten, weil sie als sogenannte Asoziale von denen abgelehnt wurden. Einige von ihnen wurden später sterilisiert. Zwangssterilisiert wohl bemerkt. Weiterhin waren in Moringen Lesbierinnen. Wobei sie aber nicht offiziell als Lesbierinnen inhaftiert waren, sondern unter einem anderen Vorwand verhaftet oder inhaftiert wurden. Bei der einen Frau war es so, dass sie kommunistischer Umtriebe sozusagen beschuldigt wurde. Eine andere war zusätzlich noch eine Halbjüdin und damit doppelt und dreifach unter Verfolgungsdruck.“

Sprecherin :

Laut Dr. Hans Hesse gab noch eine weitgrößere Häftlingsgruppe:

Die größte Gruppe stellten die Zeuginnen Jehovas. Die Zahlen schwanken allerdings ganz erheblich, so sind für die Jahre 1933 und 1934 noch keine Einlieferungen bekannt. doch im Dezember 1937 stellten die Zeugen Jehovas plötzlich mit nahezu 90% aller Häftlinge, die weitaus größte Zahl.“

(Musik: George Bizet, Carmen, Suite 1 Les Toreadors)

Sprecherin:

Vier Zeitzeuginnen berichten nun über Ihre persönlichen Haftgründe.

Die Kommunistin Hilde Faul berichtet:

„Verhaftet bin ich worden am 15.8.33. Also ich war noch nicht ganz 18 Jahre. Bin ich verhaftet worden und zwar weil ich im kommunistischen Jugendverband war. Wir haben Plakate … geklebt gegen die Faschisten und alles weitere auch noch. Wir haben eine kleine Demonstration gemacht …Dann war ich bis 1934 in Schutzhaft, dann war ein großer Prozess gegen Jugendliche, alles Mitglieder des kommunistischen Jugendverbands. Der Prozess war 1934 und da bin ich zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt worden, wegen Vorbereitung zum Hochverrat und die 8 Monate hab ich dann in der Strafanstalt Eichach verbüßt und nach der Strafverbüßung bin ich wieder in Schutzhaft gekommen und zwar war ich da im Landgerichtsgefängnis Landshut und von dort aus bin ich dann ins KZ-Moringen gekommen. Also das war Ende 1935/Anfang 1936 so genau weiß ich dass nicht mehr. Bis zu meiner Entlassung am 2. Mai 1937, war ich im KZ Moringen.“

Sprecherin:

Die Kommunistin Anni Pröll war 1936/37 in Moringen inhaftiert:

„ Ich hatte schon eine Haftstrafe von 21 Monaten hinter mir, wegen Vorbereitung zum Hochverrat und es war damals schon so üblich, dass die Gestapo die Häftlinge von den Haftanstalten abholten und dann nach Moringen brachten.“

Sprecherin:
Gedenktafel Änne Dickmann
Die Zeugin Jehovas Änne Dickmann kam im Herbst 1937 nach Moringen. Hören wir mal in das Gespräch mit Hans Hesse rein:

Hans Hesse:

„Wie ist es denn zu ihrer Verhaftung gekommen?“

Änne Dickmann:

„Ich habe meinen Mann Wäsche gebracht und dabei haben sie mich festgehalten.“

Hans Hesse:

„Warum?“

Änne Dickmann:

„Ja, wir hatten doch vorher 1936 den Offenen Brief verteilt und im Juni 1937 auch einen Brief an die Öffentlichkeit und die wurden bei uns Zuhause zurecht gemacht und aus den verschiedenen Versammlungen wurden sie bei uns abgeholt.Aber wir kannten uns nicht so ganz genau gegenseitig und ich hab wohl ein bisschen Kaffee eingeschenkt und dergleichen und der neben mir gesessen hat, der hat uns nachher verraten. Aber dann wurde er mir gegenüber gestellt und da meinte er: ‚Ich weiß nicht, ob sie das ist. Ich meine sie wäre größer und dicker gewesen.’ Und ich habe so getan, ob ich ihn nicht kenne. Ich habe ihn wohl angekuckt und habe mich nicht mehr dran gestört, was er gesagt hat und daraufhin hatten sie keinen Grund mich jetzt vor Gericht zu bringen. Nein, weil sie nicht beweisen konnten, dass ich jetzt wirklich dabei gewesen bin oder dass sie bei uns gewesen waren und da kam ich sofort ins KZ.!

Sprecherin:

In dem Film „Fürchtet Euch nicht“ von Fritz Poppenberg wird über die Verhaftung der Zeugin Jehovas Erna Ludolph berichtet:

„Eine der Zeuginnen Jehovas, die im Sommer 1937 unter großer Gefahr diese Flugblätter verteilte, war die Hausangestellte Erna Ludolph: ‚Und dann sehe ich mit einem Mal auf der Srraße 2 Männer stehen. Mit Rädern und da schoss mir durch:´ Die stehen für Dich da. Was machst Du?`Da war ich nicht mehr in der Lage noch ein Haus aufzusuchen und hab erst gedacht: `Fährst Du entgegengesetzt? Nein. Nicht fliehen, dass ist eine unnötige Jagerei. Die sind Dir überlegen. Du fährst geradeaus. Du wirst sehen, entweder stehen sie für Dich da und lässt es an Dich herankommen.’ Entweichen konnte ich nicht und hab den Tatsachen ins Angesicht geschaut. Hieß es von Rad absteigen und hat ich ja noch einige bei mir und jetzt, war ja jetzt in Sichtweite. Und dann wurde ich gefragt, ob ich da oben gewesen wäre. Ja, der Pastor hat Meldung gemacht. Somit wusste ich dann, dass es der Pastor war, der mich da möglicherweise gesehen hat.“

(Musik-instrumental „Lied 29 Vorwärts Ihr Zeugen“ im KZ von Willi Frost komponiert)

Sprecherin:

Die Zeugin Jehovas Änne Dickmann erinnerte sich im Gespräch mit Hans Hesse an den Sammeltransport nach Moringen und an ihren ersten Eindruck vom Frauen-KZ.

Hans Hesse:

„Wann sind Sie denn nach Moringen gekommen?“

Änne Dickmann:

„Im Oktober 1937 über Kassel per Sammeltransport. Zuerst im Gefangenenwagen. Dann habe ich übernachtet in Kassel, wo es sehr sehr schmutzig war. Unglaublich schmutzig.“

Hans Hesse:

„Sie waren nicht alleine?“

Änne Dickmann:

„Nein, es waren mehrere und als wir abends ankamen in Kassel, da waren hohe Betten übereinander. Da lagen welche am Boden im Stroh und da bin ich reingekommen und habe geguckt. … was das hier wohl werden soll. Ich habe mich auch nicht hingelegt und so eine Weile später fragte jemand, wer ich wäre, warum ich da wäre. Da hab ich gesagt: ‚Ich bin ein Zeuge Jehovas.’ ‚Ich auch.’ ‚ Ich auch’. ‚Ich auch.’ Da waren etliche. Und dann kamen wir zusammen nach Moringen.“

Hans Hesse:

„Was war so ganz spontan Ihr erster Eindruck?“

Änne Dickmann:

„Ja, was soll ich da sagen. Man kommt einfach in einen großen Raum, wo schon viele sind, viele Zeugen Jehovas, nich? Alles war eng zusammengepfercht und auf Stühlen oder Kisten lagen Bretter.“

(Musik: Filmmusik aus „Comedian Harmonists“)

Sprecherin:

Wie sah nun der „normale“ Alltag der Frauen aus? Was gab es zum Beispiel zu essen?

Jürgen Harder schreibt:

„Das Essen war dürftig. Geprägt von Eintopf und Mangelwirtschaft.“

Sprecherin:

Dies wird auch durch eine Aussage von Anni Pröll bestätigt:

„Ich war dann mit 17 verhaftet, hatte dann wenig zu essen, da braucht man ja auch etwas zum Aufbau und das hatte ich nicht..“

Sprecherin:

Änne Dickmann erzählte, das Essen:

„…war kalt und schmeckte nach Soda.“

Hans Hesse:

„Konnten Sie sich was zu den Lebensmitteln dazukaufen?“

Änne Dickmann:

„Damals ja, wer Geld hatte konnte sich etwas kaufen.“

(Musik-Akzent)

Sprecherin:

Jürgen Harder berichtet weiter über die Haftbedingungen:

„Die Haftbedingungen im KZ Moringen waren noch nicht so schlimm wie in den späteren Vernichtungslagern der späteren Phase. Die Unterbringung der Frauen erfolgte in überfüllten Räumen, die aufgrund der Enge teils klaustrophobische Anfälle bei den Frauen hervorrief. Bedeutete dass die Frauen sehr unter der Enge, unter der steten Präsenz von anderen Menschen litten. Psychisch war es eine sehr schwere Situation für sie. Zu dem kam im Winter erhebliche Kälte. Sie wurden unterm Dach des Gebäudes untergebracht. teilweise konnten sie die Sterne sehen, es schneite herein, die Decken waren nicht ausreichend. In den Zimmern standen Latrinenkübel, die nur einmal ausgeleert wurden am Tag. Im Tagesraum, wo sie den ganzen Tag über sitzen mussten, hatten sie einen festen Platz, den sie nicht verlassen durften. Daraus leitet sich auch der Begriff der sogenannten Lehne ab. Die Stühle der Frauen hatten keine Rückenlehnen, (sondern) sie mussten jeweils Rücken an Rücken sitzen. Die hinter ihr sitzende Frau war die sogenannte Lehne.“

Sprecherin:

Dieses wurde auch von Anni Pröll bestätigt:

„… das war eine sehr starke Beengung. Wir saßen eng nebeneinander, das Lager wurde ja dann zu klein für die vielen Einlieferungen.“

Sprecherin:

Änne Dickmann erinnerte sich gegenüber Hans Hesse::

Hans Hesse:

„Zu wievielt waren Sie da in dem Raum?“

Änne Dickmann:

„70, 80 denke ich.“

Hans Hesse:

„Was waren das für Frauen, mit denen Sie zusammen waren?“

Änne Dickmann:

„Alles, Alte und Junge.“

Hans Hesse:

„Waren das überwiegend ältere Frauen?“

Änne Dickmann:

„Ja, so Mittelalter: 50, 60 waren viele. Es waren auch viele Junge.“

(Musik: Filmmusik aus „Comedian Harmonists“)


Sprecherin:

Fast alles spielte sich im Tagesraum ab: essen, frisieren, handarbeiten, ausziehen und anziehen.

Die Frauen trugen noch ihre Privatkleidung.

Jürgen Harder:

„In Moringen wurde noch keine Häftlingskleidung getragen. Die Frauen konnten ihre Privatkleidung tragen. Die Häftlingskleidung kam erst in späteren Lagern.“

Sprecherin:

Werkhaus MoringenWie gesagt: Fast alles spielte sich in den Tagesräumen ab. Doch es gab für die meisten Häftlinge auch einen täglichen Rundgang auf dem Hof.

Jürgen Harder berichtet:

„Zweimal am Tag wurden sie für eine halbe Stunde zum Rundgang auf den Hof geführt.“

Sprecherin:

Änne Dickmann erinnerte sich:

„Ich weiß nur, dass wir immer im Kreis gelaufen sind und ziemlich schnell, damit wir ein bisschen Bewegung hatten.“

Sprecherin:

Nicht jeder durfte an diesem Rundgang teilnehmen:

Jürgen Harder:

„Von Gertrud Keen habe ich hier ein Zitat über ihre Haftzeit in Moringen, worin klar wird, dass ihr selbst der kurze Hofgang verwehrt wird: ‚Und ich bin in der ganzen Zeit, in der ich da war nur einmal rausgekommen. Also ich hab von Moringern gehört, dass sie täglich eine halbe Stunde einen Spaziergang auf dem Hof hatten. Das habe ich nie erlebt. Wir sind nie auf den Hof gekommen. Ich habe diese beiden Räume, nämlich einen Schlafsaal und einen Esssaal -und Aufenthaltssaal habe ich nur gesehen. Ich hab da nichts gesehen, wir haben immer nur zum Fenster rausgekuckt.’“

(Musik:Comedian Harmonists“Ein neuer Frühling wird in die Heimat kommen“)

Sprecherin:

Natürlich gab es auch in Moringen Zwangsarbeit. Allerdings unterschied sie sich in diesem KZ von den späteren Frauen-KZ´s.

Jürgen Harder:

Der Alltag war besonders geprägt von Monotonie. In der Anfangszeit des KZ Moringen waren kaum Arbeiten vorhanden, da in der Region kaum Betriebe waren, wo größere Mengen von Häftlingen untergebracht werden konnten. Dennoch mussten sie arbeiten und zwar für das Winterhilfswerk Kleidung ausbessern und teilweise Arbeitseinsätze auf den Feldern rundherum in der Landwirtschaft. Diese Arbeiten wurden sogar teilweise als Befreiung empfunden, zumindest 1 oder 2 Std. am Tag aus diesen Räumlichkeiten herauszukommen.“

Von solchen Arbeitseinsätzen auf dem Feld berichtet Hilde Faul:

„Für die Bibelforscher (Zeuginnen Jehovas) hat es überhaupt nichts gegeben, überhaupt gar nichts. Sie haben ja noch nicht einmal lesen dürfen. Sie haben ja keine Zeitung gekriegt und nichts. Und für die übrigen Häftlinge nun ja erstens einmal im Sommer waren wir draußen. Wir haben auf dem Feld mitgearbeitet. Ich weis gar nicht mehr was da für Schonungen waren. Maulbeerbäume glaube ich waren das. Die mussten gepflegt werden und so weiter. Es gab da Seidenraupenanlagen. So genau weiß ich das auch nicht heute. Es hat viele bei gehabt, die die nicht mehr weiterarbeiten konnten. Und so weiter und unter denen war nämlich auch ich und die halt nicht draußen mitarbeiten konnten, die mussten sich halt drinnen selber beschäftigen. Nein und das naben wir ja auch weidlich gemacht. Wir haben Handarbeiten gemacht und was anders konnten wir ja nicht mehr. Wir haben viel gelesen … die Winterhilfsklamotten, die haben sie dann im Spätherbst gebracht und wir haben schon dran arbeiten müssen.“

Sprecherin:

Später mussten sich die Häftlinge selbst beschäftigen:

Anni Pröll und Änne Dickmann berichteten:

Anni Pröll:

„Wir konnten noch zusammen sprechen, wir hatten das Leidliche, das wir zu meiner Zeit sehr wenig beschäftigt wurden. Und es waren noch Frauen auf dem Feld draußen zur Feldarbeit eingeteilt, die dann aber auch eingestellt wurde und meine Vorgängerinnen, die hatten noch fürs Winterhilfswerk mit den Kleidern zu tun, aber das wurde dann auch eingestellt. Also für uns Häftlinge gab es dann keine Arbeit. Wir mussten uns oder konnten uns noch mit eigenen Handarbeiten versorgen.“

Änne Dickmann:

„..alles eng zusammengepfercht und auf Stühlen oder Kisten lagen Bretter und saßen wir wie die Hühner auf der Stange den ganzen Tag auf dem Brett und dann wir sind zwischendurch mal in Hof mal um den Baum herum gelaufen. Wir durften Handarbeiten machen. Wir konnten uns Material von zu Hause schicken lassen und durften sie auch wieder zurückschicken.“

Änne Dickmann berichtete aber auch:

„Wir haben auch auswendig dann Bibelsprüche gelernt, ganze Psalmen auswendig gelernt.“

(Musik: Filmmusik „aus Comedian Harmonists“)

Sprecherin:

Tagsüber wurden die Frauen bewacht.

Anni Pröll bemerkte dazu:

Wir hatten keine SS. Wir hatten nur diese Frauen, die uns bewachten von der NS-Frauenschaft. Wir hatten ziemlich intelligente Frauen auch da und diese Bewachungen, die haben uns eigentlich nichts anhaben können.

Sprecherin:

Abends wurden sich die Frauen selbst überlassen. Dieses nutzten die Frauen auch einmal, um sich zu vergnügen. Hilde Faul erzählte:

Fasching haben wir uns mit die Winterhilfsklamotten einmal alle maskiert, aber erst abends im Schlafsaal, als keine Aufseherin mehr da war, sonst nicht.“

(Musik: Comedian Harmonist: Ein bißchen Leichtsinn kann nicht schaden)

Sprecherin:

Der gemeinsame Schlafsaal befand sich in der oberen Etage. Änne Dickmann und Hilde Faul äußerten sich dazu wie folgt:

Änne Dickmann:

„Zum Schlafen waren wir oben.“

Sprecherin:

„Kommunisten, ZJ und SPD waren alle im gleichen Schlafraum?“

Hilde Faul:

„Ja, aber tagsüber die Aufenthaltsräume, die waren getrennt. Da waren die politisch Verfolgten, denn es waren nicht bloß Kommunisten. Wir haben ja auch SPD-Frauen gehabt und später ist ja alles möglich noch dazugekommen: Asoziale und sowas, das hat man ja systematisch dann gemacht, das war später dann. Aber am Anfang waren wir bloß wirklich die SPD-Genossinnen und wir Kommunisten. Das war anfangs und dann später hat sich das irgendwie gemischt und für die Bibelforscher war extra ein Raum da. Und für die jüdischen Häftlinge war auch ein Extra-Raum. Das dürfte es gewesen sein. Und dann war da in Moringen noch ein Raum. Ein Haftraum so als Strafraum.“

Sprecherin:

Über die Zustände in dem Schlafraum schrieb Hanna Elling:

(Zitat Hanna Elling): „ Die Nächte waren schwer zu ertragen, wir schliefen in je zwei übereinander gestellten Betten unter dem Dach. Der Raum war nicht heizbar und in der Mitte stand ein großer Kübel.“

(Musik: Mozart, Kleine Nachtmusik)

Sprecherin:

Wie war das Verhältnis der Häftlinge untereinander?

Die Kommunistin Hilde Faul berichtete folgendes:

Sprecherin:

„Und wie war so das Verhältnis untereinander. War das ein freundschaftliches Verhältnis?“

Hilde Faul:

„Sie müssen die Zusammensetzung sehen, damals als ich nach Moringen gekommen bin, da waren wir alles fast nur politische Häftlinge. Und da haben wir 3 Genossinnen von der SPD gehabt und die anderen waren alles Kommunisten. Und bei uns war der Kontakt kameradschaftlich. Da hat es überhaupt bei uns kein Diskussion gegeben und wir konnten ja auch von unsern Angehörigen wir Geld geschickt kriegen nach Moringen und ein Pakete kriegen und das war so selbstverständlich, dass das alles aufgeteilt wurde.

Es waren ja viel Frauen dabei, deren Männer waren in Dachau, die hatten natürlich nie ein Paket oder etwas gekriegt, auch keinen Pfennig Geld, also das ist gut organisiert worden, dass jeder etwas hatte.“

Sprecherin:

„Und das find ich also sehr schön, dass man auch geteilt hat.“

Hilde Faul:

„Ich zum Beispiel alle paar Wochen 3 Mark kriegt, das war damals ein Haufen Geld für meine Leute. Und habe alle 14 Tage ein Paket kriegt.“

Sprecherin:

„Aber das war damals ja noch möglich.“

Hilde Faul:

„Ja, das war erst später nicht mehr drin. In diesem Fall unterscheidet sich ja Moringen grundsätzlich von den nachfolgenden Lagern. Und da hatten wir eine Kameradschaft, wirklich kameradschaftliche Verhältnisse hatten wir da.


Sprecherin:

Auch die Zeugin Jehovas Änne Dickmann bestätigte dies:

„Ja die nächste Gemeinschaft hat dann immer was abgekriegt“.

(Musik: Filmmusik aus „Comedian Harmonists“)

Sprecherin:

Unter den Häftlingen gab es eine starke Gruppenidentität und Solidarität.

Jürgen Harder:

„Ja, die Gruppe der Zeugen Jehovas zeichnete sich durch eine starke Gruppenidentität aus, die für das Leben in den Lagern unabdingbar war. Ähnliche Verhaltensweisen oder eine ähnliche Gruppenidentität lässt sich bei den politischen Häftlingen zum Beispiel finden.

Sprecherin:

Dies bestätigt die Kommunistin Anni Pröll:

„Im Bayernsaal hatten wir ein gutes solidarisches Verhältnis untereinander. Eine hat der anderen geholfen und auch wenn jemand traurig war, dort konnte man sich aussprechen, untereinander, das hat vielen in Moringen geholfen.“

Sprecherin:

Anni Pröll erinnerte sich weiter:

„Ich saß ja im Bayernsaal, dort waren auch Frauen, die Mündnerinnen, Sie waren wegen ihren Männern drin, die auch sich politisch eingesetzt hatten, die teilweise in Dachau oder anderswo waren. Und es war so bei der Frau Maria Götz von München, deren Mann war in Dachau schon getötet worden. Also es waren für uns Zustände, dass wir uns gegenseitig getröstet haben, das wir einen ganz starken Zusammenhalt hatten. Und ich war damals eine der Jüngsten. Ich glaube als ich eingeliefert wurde, sogar die Jüngste und wurde von den Frauen sehr betreut.“

Sprecherin:

Einige Frauen kamen mit der gesamten Situation nicht zurecht.

Über sie sagt Jürgen Harder:

„Aber die physische Situation der Frauen war anscheinend sehr bedrückend. So gab es mehrere Selbstmordversuche, wo wir allerdings nicht genau wissen wie viele davon erfolgreich waren.“

(Musik-Akzent:Comedian Harmonists aus „Am Brunnen vor dem Tore..“:“ich möcht´s am liebsten sterben, da wär´s auf einmal still…“)


Sprecherin:

Wie war aber die Situation der Familien zu Hause?
Wie kam die Familie ohne die Mutter und Ehefrau aus?
Welche Entlassungsgründe gab es ?
Welche Strafen gab es im Frauen-KZ Moringen?
Dies uns vieles mehr erfahren Sie in dem 2. Teil der Sendung in einer Woche

(Filmmusik aus „Commedian Harmonists“)

© Ingeborg Lüdtke

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