Themenübersicht: Was bedeutet der Begriff „Wissenschaftsschranke“? Welche Schranken gibt es noch im Bereich des Urheberrechts? Was wäre das völlig Neue an der Wissenschaftsschranke für die Verlage? Würde die Wissenschaftsschranke wirklich für die Verlage eine große finanzielle Einbuße oder den Untergang der Wissenschaftsverlage bedeuten? Kritik an den bisher vorgestellten Möglichkeiten einer Wissenschaftsschranke; Open Access als Veröffentlichungsform; das „Vogel-Urteil“ zur Abrechnungsweise der Verwertungsgesellschaften
Am 8. November 2016 fand nun zum 10. Mal die Urheberechtstagung in Göttingen statt. Tagungsort war wieder die ehemalige Paulinerkirche. Die Urheberrechtstagung stand unter dem Motto „Wissensschaftsschranke“.
Die Regie führten Prof. Dr. Gerald Spindler und Prof. Dr. Andreas Wiebe von der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen.
Eingeladen waren hochkarätige Experten wie zum Beispiel:
Ministerialrat Matthias Schmid, der Leiter der Abtl. III B3 des Bundesministeriums der Justiz und Verbraucherschutz, Berlin; Bettina Klingbiel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat Grundsatzfragen und Rahmenbedingungen des digitalen Wandels; Ministerialrat Dr. Thomas Pflüger von der Hochschulabteilung Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg; Prof. Dr. Justus Haucap als Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf.
Ebenso referierten Rechtsanwalt Dr. Nils Rauer und Prof. Dr. Artur-Axel Wandtke, beide bekannt durch ihre Bücher über das Urheberrecht.
Auch Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Sprang war zur Podiumsdiskussion eingeladen. Er ist der Justiziar vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
Allerdings begann eine kontroverse Diskussion schon vor der geplanten Podiumsdiskussion. Interessensvertreter von Verlagen, Zeitungsverlagen und Bibliotheken diskutierten leidenschaftlich.
Professor Christian Sprang vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels war im Anschluss an die Diskussion bereit, mir einige Fragen zu beantworten:
Meine erste Frage an ihn war:
Was bedeutet der Begriff Wissenschaftsschranke?
Unter Schranke versteht man im Urheberrecht eine Beschränkung des Rechts des Urhebers, d.h. eigentlich ist das Urheberrecht eine Art Eigentumsrecht. Und wenn sie ein bzw. Buch schreiben oder eine Komposition schaffen, dann stehen ihnen eigentumsgleiche Rechte zu, man spricht auch vom geistigen Eigentum, aber diese eigentumsgleichen Rechte, dass sie entscheiden, ob das Buch veröffentlicht wird, wer es vervielfältigen und verbreiten darf, ob es im Internet zugänglich gemacht wird (als E-book usw.). Diese eigentumsgleichen Rechte können unter bestimmten Umständen vom Gesetzgeber beschränkt werden, indem der sagt: Das Urheberrecht, dieses geistige Eigentumsrecht, umfasst bestimmte Befugnisse nicht, sondern an der Stelle wird es einem Nutzer erlaubt, das urheberrechtlich geschützte Werk ohne Genehmigung des Urhebers zu verwenden. Dann spricht man von einer Urheberrechtsschranke. Die bekannteste Schranke ist die Nutzung von Privatleuten, von jedem von uns, was jeder kennt: das sogenannte private Kopieren, private Vervielfältigen, dass ist wenn ich ein urheberrechtlich geschütztes Buch auf den Kopierer lege und ein paar Seiten kopiere, oder wenn ich mir von einer Musik-CD einen Track brenne, dann ist das durch eine bestimmte Vorschrift im Urheberrechtsgesetz § 53 erlaubt, und diese Vorschrift z.B. ist dann eine Urheberrechtsschranke. Und eine Wissenschaftsschranke ist eine Beschränkung des Urheberrechts, die speziell in den Bereichen Bildung und Wissenschaft greifen soll, und die das Ziel haben soll, den Zugang von Wissenschaftlern, aber auch Studenten und Schülern, zu bestimmten urheberrechtlich geschützten Werken zu erleichtern.
Das sind ja noch nicht alle Schranken. Welche Schranken gibt es noch im Bereich des Urheberrechts?
Die Schranken sind sehr vielfältig und unterschiedlich. Es fängt mit einer ganz „kleinen“ Schranke an, die aber eine große Bedeutung hat, das ist die Zitatschranke: Da muss jemand dulden, dass ein anderer sein Werk zitiert, z. T. ohne dass er ein Entgelt bekommt. Es gibt Schranken für die über Verwertungsgesellschaften ein Entgelt eingesammelt wird, und es gibt andere Beschränkungen, die entgeltlos erfolgen, z. B. eine wenig bedeutsame entgeltlose Schranke ist, dass in Gerichtsverhandlungen, wenn es notwendig ist, urheberrechtlich geschützte Werke in der Verhandlung vorgeführt werden dürfen, ohne dass der Urheber dafür ein Entgelt bekommt. Dann gibt es Schranken wie die Privatkopieschranke, die mit einem Entgelt verkoppelt sind, welches i. d. R. von Verwertungsgesellschaften eingesammelt wird (im Musikbereich die GEMA, im Textbereich die VG Wort, im Bildbereich die VG Bild Kunst für Fotos und Illustrationen), und es gibt daneben noch einen ganzen Bereich von Spezialschranken für den Wissenschaftsbereich. Darunter fallen z. B. Nutzungen in Intranets von Hochschulen, darunter fallen in Bibliotheken auch bestimmte Nutzungen, z. B. das Aufstellen sogenannter Lese-Terminals, in denen man Bücher zugänglich macht, die die Bibliotheksbenutzer nutzen dürfen, indem sie über diese Schranke Zugriff bekommen.
Was wäre das völlig Neue an der Wissenschaftsschranke für die Verlage?
Zurzeit wird diskutiert, eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzurichten. Was das genau ist, wissen wir solange nicht, bis wir vom Gesetzgeber eine konkrete Idee gemacht bekommen, wie er sich das vorstellt. Das dauert noch ein paar Tage oder Wochen, jedenfalls gibt es zurzeit noch keinen Gesetzentwurf. Aber diese allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke hat schon verschiedene Urheberrechtler zu Ideen, wie das aussehen könnte geführt, die sie bereits in Publikationen veröffentlicht haben. Dabei orientieren sich manche an dem Vorbild des angloamerikanischen Rechts. Insbesondere im amerikanischen Recht gibt es das sogenannte fair-use, also den fairen Gebrauch von urheberrechtlich geschützten Werken, d. h. es gibt dort nur eine einzige Schranke für das gesamte Urheberrecht, etwas vereinfacht gesprochen, die heißt, dass der Nutzer einen fair-use des urheberrechtlich geschützten Werkes machen darf, was auch gesetzlich gestattet ist. So etwas schwebt manchen auch vor, die sagen: „Genau das muss eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke sein, nämlich: sie muss den Studenten, den Schülern, den Dozenten, den Forschern und den Bibliothekaren den fair-use ( fairen Gebrauch) urheberrechtlich geschützter Werke ohne eine gesonderte Genehmigung des Urhebers, und ohne eine Lizenzpflicht gestatten.“ Soweit eine Idee für eine allgemeine Wissenschafts- und Bildungsschranke.
Die andere Idee für eine Wissenschafts- und Bildungsschranke wäre nicht zu sagen, wir machen eine einzige Schrankenbestimmung, sondern wir gliedern die jetzigen sehr unübersichtlichen schwer verständlichen Vorschriften, die sich über das ganze Urheberrechtsgesetz verstreuen, bündeln sie an einer bestimmten Stelle zusammen, und versuchen sie klarer zu fassen, so dass die Nutzer in den Hochschulen, Bibliotheken und Schulen sich leichter orientieren können, was sie dürfen, und wo sie ohne den Kauf oder einen Lizenzerwerb oder eine Genehmigung etwas nicht nutzen dürfen.
In Ihren Ausführungen ging es bisher ja nur um die Nutzer. Dabei muss man die Urheber ja auch noch berücksichtigen. Ich selbst bin ja auch Autorin und ich möchte ja auch nicht immer so ohne weiteres zitiert werden, sondern ich möchte auch gefragt werden.
Das gibt man tatsächlich bei einer Schranke ab. Wenn der Gesetzgeber die Benutzung durch eine Schrankenbestimmung erlaubt, dann endet das Urheberrecht des Urhebers, das des Kreativen, in dem Moment, wo die Schranke beginnt, und d. h. er kann nicht verhindern, dass unter einer Schranke Gebrauch von seinem Werk gemacht wird. So kann es niemand verhindern, Sie auch nicht, dass Sie sagen: Mein schöner Beitrag hier für das Stadtradio: „Ich möchte aber nicht, dass ihn jemand privat für sich mitschneidet, und dann nochmals anhört.“ Das können Sie einfach nicht verhindern, weil es vom Urheberrechtsgesetz erlaubt ist, so zu handeln. Aber Sie haben schon recht, das große Thema, um das es bei dieser Diskussion, auch um die allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke geht, ist, der gerechte Ausgleich zwischen den Interessen des Nutzers und den Interessen des Urhebers. Wenn es gelänge, diesen gerechten Ausgleich zu schaffen, hätte man am Schluss etwas, was identisch wäre, denn primär hat auch der Nutzer ein Interesse daran, dass überhaupt der Urheber da ist, und dass es sich für ihn lohnt, das Werk zu schaffen, was für den Nutzer wiederum interessant ist zu nutzen. Das heißt der Nutzer will sehr wohl, dass die Bedingungen, die das Urheberrechtsgesetz vorgibt, für den Urheber einen Anreiz bieten – und auch für seine Partner, also z. B. die Verleger, die Sender, die Tonträgerhersteller, die Filmhersteller… – das es für sie alle lohnt, Inhalte herzustellen, die es z. B. Wert machen, dass man das Werk privat kopiert. Das will auch der Nutzer, aber der Nutzer hat manchmal auch Interessen, wo er sagt: „Ich habe jetzt keine Lust das Werk zu kaufen, denn ich will aus z. B. diesem Buch nur ein paar Seiten, aber ich möchte sie gerne im Intranet verbreiten, und ich möchte das jetzt einfach so können.“ Da genau fangen dann die Schwierigkeiten an, den gerechten Ausgleich zu treffen zwischen den berechtigten Interessen des Urhebers und dem für die Gesellschaft wichtigen Schutz des Anreizes für sein Schaffen, und den berechtigten Interessen des Nutzers, der einen Werkzugang haben will, vielleicht ohne aufwändig lizensieren zu müssen, oder ohne mit Anschaffungskosten belastet zu sein, die zu seiner Nutzung außer Verhältnis zu stehen scheinen.
Aber es gibt ja auch noch das Zitatrecht.
Das Zitatrecht deckt nicht alle Nutzungen ab, vor allem setzt das Zitatrecht erst einmal voraus, dass man selbst ein urheberrechtlich geschütztes Werk schafft, in dem man das Zitat aufnimmt. Wir haben es aber bei Nutzungen im Wissenschafts- und Bildungsbereich, die jetzt für die Wissenschaftsschranke interessant sind, eher mit konsumtiven Nutzungen zu tun. Das heißt jemand möchte nicht selbst ein Werk schaffen, und darin andere Werke zitatweise nutzen, sondern er möchte beispielsweise in seiner Unterrichtsgruppe ein Kapitel eines Lehrbuchs seinen 30 Mitseminaristen zugängig machen, und eher konsumtive Nutzungsregelungen sollen da getroffen werden.
Herr Professor Sprang, gäbe es tatsächlich durch eine Wissenschaftsschranke eine große finanzielle Einbuße auf Seiten der Verleger? Damals als der Paragraph § 52a des Urhebergesetzes eingeführt wurde, sprach man auch vom Untergang des Schulbuches. Heute denkt man eher an den Untergang der Wissenschaftsverlage.
Na ja, Untergang ist immer etwas übertrieben, aber wir haben schon Anhaltspunkte dafür, dass die Einführung z. B. des §52a – das ist eine Regelung, die erlaubt es, in Hochschulintranets urheberrechtlich geschützte Werke ausschnittsweise zugänglich zu machen, ohne dass man um Genehmigung fragen muss bei einem nur sehr geringen Entgelt an eine Verwertungsgesellschaft. Da haben wir schon Fälle gesehen – einer ist Gegenstand eines großen Gerichtsverfahrens gewesen – 3 Psychologieautoren haben in einem Psychologieverlag oder in einem Philosophie- und Psychologieverlag ein Werk geschaffen, nach einem neuen Konzept, das hieß am Schluss „Meilensteine der Psychologie“. Irgendwann realisierte der Verlag, dass an der Fernuniversität Hagen – mit über 4500 Psychologiestudenten im Erstsemester – dieses Werk (91 Seiten davon) im Intranet eingestellt waren, und bekamen weiter mit, dass der Dozent den 4500 Studenten gesagt hatte: „Alle prüfungsrelevanten Teile dieses Buches ‚Meilensteine der Psychologie‘ findet ihr im Moodel , d. h. Im Hochschulintranet. Der Verlag konnte 1+1 zusammenzählen und einfach feststellen, dass er 4500 Käufer, oder potentiell jedenfalls über 100 Käufer losgeworden war, die sich sonst dieses Buch zugelegt hätten, weil dieser Dozent diese 91 Seiten – fast ein Drittel des Buches – über diese Intranetnutzungen den Studenten kostenlos und digital zugänglich gemacht hatte. An dieser Stelle stellt sich die Frage: Wo gehen Nutzungen so weit, dass sie nicht mehr unter eine Schranke fallen dürfen, weil der Primärmarkt zerstört wird? … Stellen wir uns das extrem vor: Man dürfte alle Schulbücher an Schulen ohne Genehmigung des Verlages, und ohne Zahlung nutzen, es dürfte beliebig kopiert werden, beliebig in Schulintranets gestellt werden. Das Ergebnis wäre nach kurzer Zeit: Es gäbe keine Schulbuchverlage noch Schulbuchautoren mehr, weil die Investitionen, die diese treffen müssten, sich nicht mehr lohnen würden. Wer würde sich noch am Wochenende als Lehrer hinsetzen und am Schulbuch basteln, oder abends, und seine Familie vernachlässigen. Und welcher Unternehmer würde das Geld in die Hand nehmen, eine Redaktion zu beschäftigen, Layouter zu beschäftigen, alle möglichen anderen Leute zu beschäftigen, um das Produkt optimal rauszubringen, zu vermarkten, zu veredeln. Da fehlt dann komplett der Anreiz, und dann würde eine soweit geartete Schulbuchschranke einen Effekt haben, den keiner will, nämlich, dass es am Schluss keinen Urheber und keinen Verwertungspartner des Urhebers mehr gibt, der überhaupt solche Inhalte macht. Und dann hätte man irgendwann eine Situation, wo das ganze Internet ein Testbild wäre, weil niemand mehr, wenn alles im Internet frei wäre, das selbige bestücken würde, wenn sich das wirtschaftlich nicht lohnt. Deswegen geht es immer um diese feine Abwägung zwischen der zu weit gehenden Schranke, die prohibitiv in den Primärmarkt eingreift, den der Urheber hat und den seine Partner haben im Markt, und der berechtigten Schranke, die einen Zugang zu einem Werk in einer Konstellation erleichtert, wo man sagt: „Es gibt ein berechtigtes Interesse des Schülers, des Studenten, des Forschenden, jetzt dieses Werk leicht verwerten zu können, um beispielsweise der Schaffung weiterer wissenschaftlich relevanter Inhalte zu dienen.“ Und genau um diese schwierige Abwägung geht es.
Teilweise könnte doch die Zahlung des Kopierpfennigs das abfedern.
Das ist zwar richtig, dass man das natürlich nicht entschädigungslos machen darf, weil dann eine Art Enteignungssituation bei den Urhebern hätte. Aber auch der sogenannte Kopierpfennig, den sie ansprechen, oder die Vergütung für das private Vervielfältigen über die Verwertungsgesellschaften hat seine Grenzen, und zwar deswegen, weil nicht erfasst werden kann und wird, welche Werke kopiert werden. Wenn z. B. in einem bestimmten Zeitraum ihr Buch 10000 mal kopiert wird, und mein Buch 10 mal, wir aber exakt dasselbe von der Verwertungsgesellschaft bekommen, weil die nicht feststellen kann, (das) Sie viel mehr bekommen müssten als ich, weil Ihr Werk mehr genutzt ist, dann merkt man natürlich, dass so eine pauschale Entschädigungsregelung auch nur eine Krücke ist, weil sie letztlich die Faulen und wenig markterfolgreichen privilegiert, auf dem Rücken der Fleißigen, Guten, Leistungsstarken. Wir brauchen aber ein Anreizsystem, wo gerade die, die die gute Leistung bringen, natürlich, wie das in der Marktwirtschaft so ist, dann auch Vorteile im Markt erreichen können. Insofern ist dieser Kopierpfennig (diese Pauschalabgabe) nur ein begrenzt eingreifendes Abgabe- und Kompensationssystem. Das macht irgendwann für die Gesellschaft auch keinen Sinn mehr, wenn es dazu führt, dass statt der nutzungs- und werkbezogenen Primärerlöse, die erzielt werden können, weil dort erfasst wird, was für ein Werk genutzt wird, so ein Regen erfolgt, jeder ein gleicher Tropfen, von irgendwelchen Pauschalsummen, die verteilt werden. Das kann nicht leistungsgerecht sein.
Kommen wir noch einmal auf die Wissenschaftsschranke zurück. Welche Punkte kritisieren Sie am meisten an den bisherigen Vorschlägen?
Bisher wie gesagt, gibt es noch keinen Gesetzentwurf des Ministeriums oder der Bundesregierung. Insofern kann man noch nicht konkret einen Vorschlag kritisieren. Es gibt verschiedene Ideen, die ich teilweise gut, teilweise weniger gut finde. Mich überzeugen die Ideen, wo z. B. bestimmte Kriterien berücksichtigt sind, dass bzw. ein angemessenes Lizenzangebot eines Verlages Vorrang hat vor der Nutzung durch eine Schranke. Das halte ich für eine sinnvolle Steuerung, wenn man das in einer Vorschrift vorsieht. Genauso finde ich es wichtig, dass man die Primärmarktbereiche ausnimmt, also Schulbuch und Lehrbuch. Das sind ja Bücher, die werden exakt für einen bestimmten kleinen Markt, der sehr abgegrenzt ist, hergestellt, mit hohen Kosten. Wenn man den Markt freigibt über eine Schranke, dann vernichtet man den Anreiz, für diesen Markt überhaupt zu arbeiten. Darum sollte es in diesen primärmarktrelevanten Bereichen eben solche Bereichsausnahmen geben, wie es sie jetzt im geltenden Recht jetzt schon für Schulbücher gibt. Da gibt es noch zwei oder drei weitere Kriterien, die aus meiner Sicht hilfreich und wichtig wären, wenn man über eine allgemeine Wissenschaftsschranke nachdenkt. Aber einen konkreten Entwurf, an dem jetzt schon mal man sich argumentativ auslassen könnte, den haben wir heute noch nicht.
Die vorgestellte Studie von Justus Haucap, Gerald Spindler u.a. anderen war ja nur aufgrund von Erhebungen der Bibliotheken erstellt worden. Die Verlage wurden ja nicht berücksichtigt.
Es war jetzt eher eine wirtschaftlich betonte Überlegung, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen die Ausweitung bestehender Schranken im Urheberrecht gerade in den Bereichen Wissenschaft, Forschung und Bildung hätte. Diese Untersuchung hat in der Tat schon im Design gewisse Probleme, weil sie nur über die Bibliotheken spricht, und aus deren Sicht das ganze darstellt, und weil sie die Auswirkungen auf die Verlage nicht an Echtzahlen aus den Verlagen analysiert hat, und dann zu Aussagen kommt, die wahrscheinlich die meisten Verlage als nicht mit ihrer Wirklichkeit identisch einschätzen. Da kommt dann das vor, was man in Diskussionen über dieses Thema häufiger hat, … dass man aus verschiedenen Welten übereinander spricht, und nicht über die gemeinsame Welt, in der man eigentlich lebt. Und man muss in diesen Diskussionen immer versuchen hinzubekommen, dass man ein gemeinsames Verständnis des Marktes und der Wirklichkeit entwickelt, und dann auch der Auswirkungen, die bestimmte Regelungen haben werden. Das ist sicherlich ein Diskurs, der uns da aufgegeben ist, der nicht ganz ohne ist.
Herr Professor Sprang, Open Access als Veröffentlichungsform wurde während der Tagung auch angesprochen. Open Access ist ja nicht immer unbedingt frei und kostenlos. Es gibt zum Beispiel das Open Access Modell, bei dem der Autor einige tausend Euro bezahlt, damit das Werk Open Access veröffentlicht wird.
Open Access stehen wir grundsätzlich erst einmal liberal und offen gegenüber. Also Open Access per se ist nichts Verwerfliches, im Gegenteil. Für uns ist nur eines entscheidend: Der Urheber muss sich frei entscheiden können. Will er Open Access Veröffentlichungen oder hat er vielleicht jemanden der die Veröffentlichungsgebühren für seine Open Access Veröffentlichungen bezahlt, dann soll er es unbedingt tun. Und dann muss der Markt ihm die Angebote stellen, damit sich für ihn das Passende bietet. Da gibt es keine Diskussion, da ist überhaupt nichts gegen einzuwenden, wenn jemand sich entscheidet Open Access zu veröffentlichen. Problematisch wird es dann, wenn der Autor unter Zwang gesetzt wird. Open Access ist auch ein Eingriff in die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit, die dem wissenschaftlichen Autor garantiert ist. Und problematisch wird das Open Access in dieser „grünen“ Spielart, wo man sagt: „Wir zwingen die Verlage nach einer gewissen Zeit bestimmte Beiträge zur Zweitverwertung freizugeben.“ Da nutzt man letztlich die von den Verlagen finanzierte Leistung umsonst aus. Da macht man den Sparefroh quasi als öffentliche Hand und sagt: „Ich habe zwar jetzt nicht das Geld, selbst diese Verlagsleistung zu erbringen, aber ich will sie schon umsonst nutzen“, und zwinge deswegen den Verlag dazu, diesen „grünen“ Weg freizugeben, und nach einer gewissen Zeit der Veröffentlichung die Zweitverwertung zu gestatten. Das ist, glaube ich, kein wirklich nachhaltiges Modell. Wenn man Open Access macht, wogegen nichts spricht, dann sollte es strikt dann Anwendung finden, wenn der Autor freiwillig diesen Weg wählt, – und das ist auch nicht das Schlechteste, wenn er das tut, sondern das sollte seine freie Option sein. … Diejenigen, deren Leistungen er weiter braucht – Verlage o.ä. Organisationen, … Navigation, Veredelung, Marketing, diese notwendigen Elemente – die sollen in jedem Fall, auch beim Open Access System für ihre Leistungen entgolten werden.
Bei normalen Sammelwerken sind einige Verlage darauf übergegangen, sich die Rechte exklusiv an den Artikeln einräumen zu lassen. Aber andererseits erlauben sie, dass der Autor seinen Artikel auch auf seine Homepage stellen kann. Wie ist das bei Open Access?
Es gibt im Bereich Open Access schon Ampeln, die rot, gelb und grün zeigen. und wo Open Access Policies, wie sie neudeutsch heißen, also die Open Access Lizenzstrategien von Verlagen im Wissenschaftsbereich nachlesbar sind. Es gibt Verlage, die sind liberal, und sagen: „Wir gestatten dem Autor , nach einem Jahr nach der Veröffentlichung in unserer Zeitschrift, dass er in der publizierten Form auf seiner Website oder auch in speziellen Repository-Websites, es nochmals zweitverwerten darf. Das sind die Verlage, bei denen oft die Halbwertszeit des Inhaltes sehr knapp ist. Das heißt es ist so aktuelle Forschung, dass das ein Jahr nach der Veröffentlichung schon im Wesentlichen seinen Wert so eingebüßt hat, dass es nicht mehr den Primärmarkt gefährdet. In anderen Bereichen (z. B. in philologischen Bereichen), ist die Halbwertszeit wesentlich länger von Beiträgen in Zeitschriften, und da wird man eher Verlage finden, die entweder gar nicht gestatten, oder nur gestatten nach einer geraumen sogenannten Embargofrist, oder auch zusammen mit einer Auflage, nicht die zitierfähige publizierte Version zu nehmen, in die der Verlag investiert hat. Insofern ist das von Bereich zu Bereich, von Verlag zu Verlag verschieden, und kann auch noch zwischen dem Urheber und dem Verlag individuell geregelt werden. Es gibt wie gesagt Websites, die dokumentieren, wie die Verlage grundsätzlich zu dem Thema stehen, aber es ist immer möglich, dass sich Verlag und Autor auf anderes verständigen.
Sie haben vorhin die Verwertungsgesellschaften erwähnt. Es wäre es schön, wenn Sie noch kurz etwas zu dem Vogel-Urteil sagen würden.
Das hat eigentlich nur mittelbar mit den Wissenschaftsschranken zu tun. Das ist eine Entscheidung, die der Bundesgerichtshof am 21. April dieses Jahres (2016) getroffen hat, in einem Rechtsstreit, wo um die Frage gestritten wurde: Darf … die VG Wort, das von ihr aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen, d. h. als Entgelt für Schrankennutzung wie Privatkopie, Bibliothekstantieme usw., eingenommene Geld, wie sie es bisher taten, nach ihren Verteilungsplänen unter Verlag und Autor aufteilen, oder unter Autor und Verlag – das ist seit 1958 die hergebrachte Praxis bei der VG Wort – oder – so hat (es) der klagende Autor Martin Vogel mit seiner Klage erreichen wollen – ist ein pauschaler Abzug zugunsten der Verlage von diesen Erlösen nicht zulässig. Darüber hat der Bundesgerichtshof aus verschiedenen Gründen entschieden, insbesondere auch, weil es ein Europäisches Gerichtshofs-Urteil gab (im November 2015, nicht lange her), wo anhand eines belgischen Gesetzes der Europäische Gerichtshof gesagt hat: „Verleger sind nicht Rechtsinhaber. Das ist nur der Autor und deswegen entsteht ihnen gar kein Schaden durch so eine Schrankenregelung, und deswegen steht ihnen auch kein gerechter Ausgleich dafür zu“. Das ist etwas, was man aus Sicht von Verlagen gar nicht nachvollziehen kann. .. Eine Privatkopie erfolgt ja nicht am Manuskript des Autors, sondern am verlegten Werk. Und Autoren und Verlage haben schon genau gewusst, dass sie das lieber gemeinsam machen wollen, das gesamte Geschäft einschließlich der Wahrnehmung dieser Schrankenentgelte. Und es sieht jetzt so aus, als sollte sowohl auf nationaler Ebene als auch auf europäischer Ebene diese Rechtsprechung – dieses Vogel-Urteil des Bundesgerichtshofs und dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs – korrigiert werden. Aber bis das korrigiert ist – solche Korrekturen dauern bei der Gesetzgebung immer länger – gilt jetzt das als bindendes Recht. Und es gilt nicht nur derzeit, heute und morgen, sondern es gilt vor allem auch rückwirkend, weil sich das auf Zeiträume der Vergangenheit erstreckt. Das führt jetzt dazu, dass die Verwertungsgesellschaften z. B. VG Wort, die strikt an Recht und Gesetz gebunden ist, die jetzt durch das Vogel-Urteil weiß, dass ihr Verteilungsplan, den sie seit 1958 anwendet, rechtswidrig ist, das sie diesen Verteilungsplan nicht mehr anwenden darf in der Zukunft, und dass sie Ausschüttungen an Verlage auf Grund dieses Verteilungsplans, der ja rechtswidrig war, soweit es geht zurückholen muss. Und es gilt, soweit die Rückholungsansprüche nicht verjährt sind. Und damit stehen die VG Wort, die VG Bild Kunst, die GEMA und die VG Musikedition – alle Verwertungsgesellschaften , die Ausschüttungen für gesetzliche Vergütungsansprüche an Verlage gemacht haben – jetzt in der Situation, dass sie sich diese Gelder, die sie von 2012 – 2015 an die Verlage ausgeschüttet haben, von denen zurückholen müssen. Das heißt für viele Verlage, dass sie jetzt mit Rückforderungen konfrontiert sind, die locker 200%, 300%, 400% ihres jährlichen Renditeerlöses – der bei Verlagen sehr oft schmal ist – entsprechen, und die Verlage in existenzielle wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. Wir haben schon die ersten Insolvenzfälle gesehen, und die Rückforderungsschreiben sind eigentlich gerade erst rausgegangen, und die Fälligkeit der Rückforderung ist noch gar nicht erreicht. Also da muss man jetzt fürchten, dass dieses überraschende Urteil dazu führt, dass dutzende Verlage wirtschaftlich nicht mehr weiterkönnen, und damit aber natürlich auch viele Autoren ihre verlegerische Heimat verlieren. Und die anderen Verlage, die irgendwie noch die Rückzahlung bewältigen, müssen natürlich in ihren nächsten Kalkulationen – solange die gesetzgeberische Korrektur der Urteile nicht da ist – sich überlegen: „Wo spare ich das Geld ein, das ich jetzt von den Verwertungsgesellschaften nicht bekomme.“ Da die Autoren ja dieses Geld jetzt bekommen, das bisher die Verlage bekommen haben, liegt es nahe zu überlegen, ob es nicht eine Umverteilung z. B. beim Primärhonorar ist. Da würde letztlich – wenn jetzt nicht die schnelle Korrektur kommt – dieser eigentlich in der Verwertungsgesellschaft erfolgreich und harmonisch seit Jahren beigelegte Streit „Wie verteilen wir die Erlöse von Werken?“ jetzt völlig neu aufbrechen und neu geführt werden, und das ist sicherlich nicht sinnvoll, und deswegen setzen wir darauf, dass wir zu diesem System – das wir einvernehmlich seit 1958 – Urheber und Verlage (z. B. VG Wort) praktizieren (die GEMA noch wesentlich länger) zurückfinden werden mit Hilfe des Gesetzgebers.
Soll die Prozentzahl für die Verlage dann verringert werden?
Ich glaube am Schluss sind das kommunizierende Röhren. Man kann nicht sagen: „Na gut, Ihr kriegt noch wieder was, aber nicht mehr 50%, nicht mehr 30%, sondern nur noch 25% oder 15%“, denn das würde nur dazu führen, dass der Verlag dann sagt: „Okay, in der Kalkulation des Werkes kann ich dann auch, z. B. bei der Vorschusshöhe, dem Autor nicht mehr das geben, was ich ihm bisher gegeben habe, weil sich das jetzt nicht mehr rechnet in der Werkkalkulation“, und dann hätte letztlich der Autor einen sicheren Vorschuss, den er bisher hatte, verloren, und hätte ungewisse Zweitverwertungseinnahmen, die er von dem VG Wort oder anderen Verwertungsgesellschaften bekäme. Das ist auch nicht im Sinne des Autors. Insofern hoffe ich – ohne dass man es sicher sagen kann – dass es letztlich bei diesem althergebrachten System, auch was die Höhe der Anteile (in der Regel erhält der Autor 70%, der Verlag 30%, in manchen Bereichen 50%/50%), bleiben wird.
© Ingeborg Lüdtke
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Sendetermin:20.11.2016 um 9 h im StadtRadio Göttingen
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