Führung: KZ Moringen am 4. März (Bericht)

Freitag, 4. März 2016, 14.00 Uhr

Öffentliche Führung zu den Zeuginnen Jehovas im Frauen-KZ Moringen mit Jakob Fesca

KZ Gedenkstätte Moringen S760>Rechtzeitig komme ich beim Torhaus der KZ-Gedenkstätte Moringen an und so habe ich noch genügend Zeit, um einen Blick in die Räume der KZ-Gedenkstätte zu werfen.

Vor ca. 14 Jahren war ich das letzte Mal im Torhaus, denn meist besuchte ich danach die Veranstaltungen in der Stadthalle oder in den Räumen der ehemaligen Kommandantur (Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen – Moringen). Es hat sich viel in den Räumen der Gedenkstätte geändert.

Damals wirkte der größere Raum im Erdgeschoss dunkel und gedrungen auf mich. Der Raum war vollgestellt mit den Stellwänden der Ausstellung „Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben“, Stuhlreihen und dem riesigen Modell des ehemaligen KZ Moringens.

Ich bin angenehm überrascht, heute an dieser Stelle zwei helle und modern ausgestattete Büroräume vorzufinden. So können di e Mitarbeiter in Ruhe zu forschen.

Arne Droldner von der KZ-Gedenkstätte Moringen, Jakob Fesca (FSJ freiwilliges soziales Jahr

(c) Edmund Kolowicz

(c) Edmund Kolowicz

Politik) und einige mir unbekannte Teilnehmer der Führung befinden sich bereits im ersten Büro.

Noch bevor ich mich in die 1. Etage in die Bibliothek begebe, treffen weitere Teilnehmer ein. Ich sehe einige mir bekannte Gesichter.

Geschichte des Wegsperrens

Wir versammeln uns vor dem Parkplatz der Moringer Stadthalle. Wir sind ca. 26 Teilnehmer.

Nach der Begrüßung erklärt uns Jakob Fesca, wo sich das Gelände des KZ Moringen

befand. Das KZ Moringen umfasste nicht nur den großen Häuserkomplex des ehemaligen Waisenhauses mit den roten Backsteinhäusern, sondern es gab auch noch ein Barackenlager. Dieses erstrecke sich zwischen der Langenstraße und der Mannenstraße.

Wir gehen durch die heutige Straße „Waisenhausmauer“ und befinden uns somit auf dem Gelände des ehemaligen Barackenlagers. Linkerhand steht die Kapelle, in der anfangs noch Gottesdienste für die Inhaftierten stattfanden.

Jakob Fesca berichtet uns über die Geschichte des „Wegsperrens“:

Von 1732-1818 befand sich in dem alten Gebäudekomplex des heutigen Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen – Moringen ein Waisenhaus. Im Anschluss daran gab es bis 1838 darin eine Straf- und Korrekturanstalt und bis 1871 das Polizeiliche Werkhaus. Als Provinzial-Werkhaus wurde es danach bis 1944 benutzt. Parallel dazu gab es dort die 3 Konzentrationslager: Das Männer-KZ (April- November 1933), das Frauen-KZ (Sommer 1933-1938) und das Jugend-KZ (1940-1945). Ab 1945-1951 diente es den Alliierten als DP-Camp (desplaced Persons). Gleichzeitig wurde es bis 1966 als Landeswerkhaus genutzt. Seit 1966 wurde hier das Landeskrankenhaus untergebracht, dass inzwischen in das Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen – Moringen übergegangen ist.

Auch heute ist das „Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen – Moringen“ mit einem Gitterzaun umgeben. Durch das Gitter kann man aber auch einen Blick auf die dahinterliegenden Gebäude werfen.

Ehemalige Kommandantur

Wir gehen nun zur ehemaligen Kommandantur (oder auch ehemaliges Waisenhaus genannt) ehemalige Kommandanturund steigen die steile Treppe zum Eingang hinauf. Im Vorraum steht

Modell KZ Moringen

Modell KZ Moringen

heute, dass riesige Modell des ehemaligen Konzentrationslagers.

An den Wänden sind große Informationstafeln über die verschiedenen Abschnitte der Geschichte dieses Gebäudes aufgehängt.

Es ist geplant den Eingangsbereich der ehemaligen Kommandantur neu zu gestalten.

Früher war es bei Führungen nicht immer möglich die Kommandantur zu betreten. Mit viel Glück erhielt der Leiter der Führung den Schlüssel zum Vorraum, damit die kleine Ausstellung über das KZ gezeigt werden konnte. Bei der ersten von mir besuchten Führung über die drei Moringer Konzentrationslager konnten wir auch einen Blick in den Keller werfen. Dies war nur möglich, weil dort ein öffentlicher Basar stattfand.

Inzwischen wurde der KZ Gedenkstätte in der ehemaligen Kommandantur ein fester Raum für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt.

Vom Vorraum aus gehen wir durch die rechte Glastür. Die Tür wird hinter uns abgeschlossen. Wir begeben wir uns über die Treppe nach oben.

(c) Gedenkstätte Moringen

(c) Gedenkstätte Moringen

Hier in dem Veranstaltungsraum waren früher KZ-Häftlinge untergebracht. Nichts in diesem hellen großen Raum erinnert uns mehr an das Leid der ehemaligen Häftlinge. Es ist für mich kaum vorstellbar, dass in einem solchen Raum einmal 70-80 Frauen den ganzen Tag lang an einem großen Tisch gesessen haben. Da sie keine Stühle mit Lehnen hatten, saßen immer zwei Frauen Rücken an Rücken. Die hintere sitzende Frau war die sogenannte „Lehne“. Da die Frauen anfangs nicht arbeiten mussten, konnten sie noch Handarbeiten machen. Eine Zeit lang wurden die Frauen für Näharbeiten für das Winterhilfswerk herangezogen. Da diese Kleidung für die Soldaten gedacht war, haben die Zeuginnen Jehovas diese Arbeit abgelehnt.

Appellplatz

Der tägliche Hofgang auf dem Appellplatz brachte etwas Abwechslung in den monotonen Blick auf den ehemaligen AppellplatzTagesablauf der Frauen.

Von dem Veranstaltungsraum aus können wir auf den ehemaligen Appellplatz sehen, der noch heute von den Patienten für einen kleinen Spaziergang benutzt wird.

Ein Blick von oben auf Appellplatz ist etwas anderes, als wenn man direkt auf dem ehemaligen Appellplatz steht. Bei der damaligen Führung durfte unsere kleine Gruppe durch das Gittertor auf den Appellplatz gehen. Wir standen dort einige Minuten schweigend mit einem mulmigen Gefühl. Im Geist sahen wir die Häftlinge ihre Runden um die Bäume ziehen.

Power-Point-Präsentation

Jakob Fesca hat für uns eine Power-Point-Präsentation mit Schwerpunkt der Opfergruppe „Zeugen Jehovas“ vorbereitet. In der NS-Zeit hat es ca. 25.000 Zeugen Jehovas gegeben. Davon wurden ca. 11.300 Zeugen inhaftiert. Von den ca. 1.500 Zeugen, die ihr Leben verloren wurden rund 370 durch Hinrichtung ermordet.

Jacob Fesca weist als Besonderheit dieser Opfergruppe auf den großen Zusammenhalt der Frauen hin.

Wir sehen zwei Luftbilder von dem ehemaligen KZ-Komplex, ein Foto von dem Appellplatz und ein Foto der Kommandantur. Ein Foto zeigt Hugo Krack, der dort von 1930-1954 in verschiedenen Positionen tätig war: Von 1930 bis 1944 als Werkhausdirektor und Direktor des Frauen-KZ und von 1948 bis 1954 als Landeswerkhausdirektor.

Handarbeiten und Tagesablauf

 Aus einem Karton holt Jakob Fesca nun einige Exponate von Handarbeiten hervor, die die Frauen in Moringen angefertigt haben.

Wir erfahren etwas über den Tagesablauf der im Frauen-KZ untergebrachten Frauen und sehen einen Speisezettel. In der Theorie liest sich alles sehr schön, doch wie reichhaltig die Speisen tatsächlich waren erfahren wir nicht.

Verbringung in die KZ Lichtenburg, Ravensbrück und Sachsenhausen

 Ein Deutschlandplan zeigt, wo es überall Konzentrationslager und Außenlager gegeben hat.

Die Zeuginnen Jehovas wurden 1937/38 in das KZ Lichtenburg deportiert. Es lag nordöstlich von Leipzig bei Torgau an der Elbe. 1939 kamen sie in das neuentstehende Frauen-KZ Ravensbrück.

Auch Maria Chrupalla war unter den Frauen, die in das KZ Ravenbrück kamen. In Moringen wurde sie am 11. Januar 1935 eingeliefert. Laut dem Stolperstein wurde sie am 6. Februar 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet.

Eine weitere Folie handelt von Erna Ludolph. Sie kam erst Ende 1939 nach Moringen. Auf der Suche nach einem Bettplatz, fand sie erstaunlicherweise ein freies Bett im Saal. Später merkte sie, dass über ihr ein Loch war und es manchmal hereinschneite. Von ihrer Mutter erhielt sie ein Paket mit einer Bibel. Da die Aufseherin durch das Telefon abgelenkt wurde, konnte sie die Bibel verbotenerweise an sich nehmen. Diese Bibel begleitete sie über das KZ Lichtenburg auch nach Ravenbrück. Erna Ludolph überlebte.

Ein weiterer Stolperstein ist dem Zeugen Jehovas Jonathan Stark gewidmet. Er kam Anfang 1944 in das Jugend-KZ Moringen. Im Herbst 1944 wurde er in das KZ Sachsenhausen verschleppt .Am 01.11.1944 wurde er im Alter von 18 Jahren durch den Strang wegen Kriegsdienstverweigerung hingerichtet.

Wir verlassen nun wieder die ehemalige Kommandantur und bleiben kurz vor der Hinweistafel am Treppenaufgang stehen. Auch wenn sie noch das nicht korrekte Wort „Jugendschutzlager“ enthält, ist sie ein wichtiger Hinweis auf die drei Moringer Konzentrationslager.

Gräberfelder

Wer möchte, kann nun noch die Gräberfeld auf dem städtischen Friedhof in Moringen

Gräberfelder Zwangsarbeiter

Gräberfelder Zwangsarbeiter

besuchen. Für Gehbehinderte besteht die Möglichkeit mit dem Auto gefahren zu werden.

Die Gräberfelder für verstorbene Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene bzw. Displaced Persons befinden sich ziemlich am Anfang des Friedhofes auf der linken Seite.

Vor einem Gedenkstein bleiben wir stehen. Wir lesen: „Zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Moringen.“ Dahinter liegt das Gräberfeld der Toten des Jugend-KZ.

Auch hier hat sich die letzten Jahre etwas verändert: Das Gräberfeld war früher an der linken Seite durch Bäume begrenzt. Doch nun ist es von allen Seiten sichtbar und zugänglich.

Jacob Fesca steht neben dem Gedenkstein für die Opfer der nationalsozialistischen

Grabstein Hugo Krack (c) Edmund Kolowicz

Grabstein Hugo Krack
(c) Edmund Kolowicz

Gewaltherrschaft. Er macht uns darauf aufmerksam, dass schräg gegenüber das Grab von dem Lagerleiter Hugo Krack liegt. Es ist verwildert und mit Efeu zugewachsen. Von seinem Namen kann man nur noch die Buchstaben AC klar erkennen.

Jakob Fesca sagt in seiner offenen unbefangenen Art mit der KZ-Vergangenheit in Moringen umgehend, dass Hugo Krack ein Nazi war.

Hugo Krack trat am 1. Mai 1933 in die NSDAP und im Herbst 1933 in die SA ein. Er ist sicherlich nicht mit den Lagerkommandanten der

Gräberfelder Jugend-KZ

Gräberfelder Jugend-KZ

großen Konzentrationslager zu vergleichen. Er selbst hat niemanden getötet, aber er hat sich durch seine Führungsberichte am Tod einiger Opfer mitschuldig gemacht. Seine Beurteilungen führten dazu, dass einige Frauen in weitere KZs eingeliefert wurden und z. B. über das KZ Lichtenburg nach Ravensbrück gelangten, wo sie zu Tode kamen.

Mir war bisher unbekannt, dass das Grab von Hugo Krack in unmittelbarer Nähe der Gräber der NS-Opfer und Zwangsarbeiter liegt.

Es ist schon etwas seltsam, dass im Tod „Opfer und Täter“ so dicht bei einander begraben liegen.

Die Pflege der Grabstätten könnte nicht gegensätzlicher sein: Das Grab des Täters vergessen und verwildert und die Gräber der Opfer gepflegt und öffentlich sichtbar.

Rückweg und Verabschiedung

Wir kehren über die Mannenstraße wieder zurück zum Parkplatz der Moringer Stadthalle.

hier wohnte der Lagerarzt Dr. Otto Wolter-Pecksen

hier wohnte der Lagerarzt Dr. Otto Wolter-Pecksen

Unterwegs kommen wir an einem lila gestrichenen Haus vorbei. Hier wohnte früher der Lagerarzt Dr. Otto Wolter-Pecksen . Auch er war Mitglied der NSDAP und der SA. Einerseits setzte er sich für gefolterte KZ-Insassen ein, andererseits wird vermutet, dass er dem Direktor des Werkhauses Vorschläge für Zwangssterilisierungen unterbreitete.

Bei der Stadthalle verabschieden wir uns von Arne Droldner und Jakob Fesca. Wir sind sehr angetan von der Präsentation seines FSJ (freiwilliges soziales Jahr)- Projektes und seiner freundlichen und ernsthaften Art.

Im Sommer wird es eine weitere Führung zur Opfergruppe der Zeugen Jehovas geben.

(c) Ingeborg Lüdtke

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Der Bericht von Jacob Fesca über die Veranstaltung kann nachgelesen werden unter:

https://www.facebook.com/moringenmemorial/

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