„In der DDR gibt es keine welken Rosen“ – Der Maler Heinz Tetzner

Interview mit dem international bekannten DDR-Maler Heinz-Tetzner und Dr. Elke Purpus der Direktorin der Kunst- und Museumsbibliothek / Rheinisches Bildarchiv der Stadt Köln anlässlich der Lesung von Charlotte Tetzner im Holbornschen Haus in Göttingen (15. Januar 2005).

Charlotte Tetzner las aus ihrem Buch „Frierende“, das von dem Historiker Dr. Hans Hesse und seiner Frau Dr. Elke Purpus im Klartext Verlag herausgegeben wurde. Elke Purpus hat in dem Buch eine Einführung über das graphische Werk von Heinz Tetzner geschrieben. Sie promovierte über das Thema „Die Blockbücher der Apokalypse“.

Nach der Lesung von Charlotte Tetzner sprach Dr. Hans Hesse einige überleitende Worte zum Interview mit Heinz Tetzner.
Heinz TetznerDer Künstler Heinz Tetzner wurde 1920 in Gersdorf bei Chemnitz geboren. Er war unter anderem Heinz Tetzner Museum GersdorfDozent an der Hochschule für Bau und Bildende Kunst in Weimar. Er eckte mit seiner Auffassung von Kunst in der DDR an. Er arbeitete viele Jahre als freischaffender Künstler und erhielt einige Preise. Zweimal erhielt er den Max-Pechstein-Kunstpreis und wurde 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für sein Lebenswerk ausgezeichnet. 2001 wurde für ihn in Gersdorf das Heinz-Tetzner-Museum eröffnet.

Einige der Bilder des Künstlers, die in dem Buch „Frierende“ abgebildet sind, wurden auch an diesem Abend gezeigt. Sie wurden 2003 angefertigt und haben einen Bezug zu dem Inhalt der Lesung von Charlotte Tetzner. Auch wenn die Werke sich nicht unmittelbar mit dem Leben von Charlotte Tetzner auseinandersetzen, befassen sie sich mit dem Thema Konzentrationslager und Nationalsozialismus. Sie zeigen ausgemergelte Körper oder auch eine Zyklondose.


Dr. Elke Purpus:

Tetzner PurpusHerr Tetzner können Sie bitte etwas zu der Entstehung dieser Zeichnungen [Anm.: 1. Bild, Tafel 13, “Vergewaltigt“, 1990, 2. Bild, Tafel 9, „Bibelleserin“] erzählen? In welchem Zusammenhang und seit wann haben Sie sich mit diesem Thema beschäftigt?


Heinz Tetzner:

Diese Bildgestaltungen sind nach den Erzählungen meiner Frau [Anm.: Charlotte Tetzner, KZ-Überlebende] entstanden, die ich immer wieder in meinen Zeichnungen niedergeschrieben habe. Diese Holzschnittserie werde ich fortsetzen. Einige davon sind schon entstanden, sodass ein Gesamtzyklus im Nachhinein aus dieser Zeit entstehen wird.


Dr. Elke Purpus:

Als wir letztes Jahr bei Ihnen waren, hatten Sie gesagt, dass diese beiden Bilder eher Vorzeichnungen für Bilder sind, die noch als Zyklus entstehen werden. Wir sehen hier auch einen Holzschnitt. Der Holzschnitt ist ja eine graphische Drucktechnik von Ihnen. Warum bevorzugen sie den Holzschnitt?


Heinz Tetzner:

Darüber kann man geteilter Meinung sein. Der Holzschnitt ist eine uralte Technik, den die Japanern und Chinesen schon pflegten. Mir liegt einfach die Niederschrift dieser graphischen Kunst am ehesten. Ich mache Lithographien bzw. Radierungen, die eine Vervollständigung meiner graphischen Arbeiten bilden, aber im Vordergrund ist mir der Holzschnitt mit seiner Niederschrift in dieser Einfachheit und Ausdrucksweise immer sehr entgegen gekommen und steht mir deshalb am nächsten. Ich versuche deshalb immer wieder durch diese Technik meine graphischen Arbeiten zu realisieren.

Dr. Elke Purpus:

Das gelingt Ihnen auch hervorragend. Gehen wir kurz auf diesen Holzschnitt ein. Wir sehen im Vordergrund eine Frau. Sie ist nackt. Sie ist anscheinend nur geschützt durch einen Umhang, den sie sich übergeworfen hat. Sie hat die Hände fast vor das Gesicht gezogen. Mich erinnert diese Situation, dieses Gefühl das ausgedrückt wird, sehr stark an das, was Frau Tetzner am Anfang vorgelesen hat. Die Frau steht nackt vor den Soldaten, die sich schon abgewendet haben. Das schmälert aber nicht den Ausdruck, die Erniedrigung, die rüber kommt. Ich finde, dass das Leid immer sehr intensiv in Ihren Werken zu spüren ist.

Heinz Tetzner:

Ja, dass ist natürlich immer eine individuelle Betrachtungsweise von Seiten des Betrachters. Vom Ausdruck her versuche ich immer in einer realen Gestaltung das Wesentliche aus dieser Situation hervorzuheben. Ich denke, dass dieses Bild auch so zu verstehen ist, dass eine Frau von der Soldateska vergewaltigt wurde. Durch dieses Weggehen von ihr findet dieses Beschämende und Bedrückte ihren Niederschlag.


Dr. Elke Purpus:

Zu diesem Holschnitt gibt es hier in dem Buch „Frierende“ Vorzeichnungen, so dass man die Entwicklung nachvollziehen kann. Für Sie sind ja Zeichnungen sehr wichtig. Während der Holzschnitt in der Werkstatt entsteht, haben Sie die Zeichnung an der Sie arbeiten ständig bei sich. Sie arbeiten ein Motiv heraus und greifen auch wieder auf ein altes Motiv zurück.


Heinz Tetzner:

Die Zeichnung ist die erste Phase meiner Intuition vom Erlebnis her wie eine Schrift mit Hieroglyphen niederzuschreiben. Ich entwickle etwas ganz Einfaches über eine graphische Technik. In diesem Falle ist es der Holzschnitt. Das ist eine Meinung zu diesen wesentlichen Dingen, die ich sehe. So habe ich schon jahrelang gearbeitet. Ich habe eine Unmenge von Holzschnitten von bestimmten Themenkreisen, nicht nur im menschlichen Bereich, sondern auch im landschaftlichen Bereich Ich habe diese Form gewählt, weil sie mir am besten zu eigen ist, und ich kann mich darin am besten ausdrücken.

Dr. Elke Purpus:

Ich würde jetzt gern noch einmal den anderen Holzschnitt zeigen, den wir auch mitgebracht haben. Dieser Holzschnitt ist Ende der 1970er Jahre entstanden. Es wird eine ältere Frau dargestellt, die ein Buch in der Hand hält, in dem sie bisher gelesen hat. Ihr Blick ist aus dem Holzschnitt heraus gerichtet. Sie ist nachdenklich. Der Holzschnitt „Die Bibelleserin“ ist in einer Zeit (Ende der 70er Jahre) in der DDR entstanden, als die Zeugen Jehovas verboten waren. Ich gehe mal davon aus, dass Sie diesen Holzschnitt nicht ausstellen konnten.


Heinz Tetzner:

Ja, solche Themen waren nicht erwünscht. Also man war da sehr stur und man eckte dann sozusagen an mit einer solchen Thematisierung und das habe ich dann auch lieber gelassen. Aber zum Bild selbst: Als Bub und junger Mensch sah ich meine alte Mutter, wie sie da saß mit einer großen Bibel in der Hand und darin las. … Ich habe dann viele, viele Zeichnungen gemacht bis tatsächlich dann eine endgültige Lösung in Form eines Schnittes, wie Sie ja sehen, zustande kam. Natürlich, wie gesagt, diese Thematik war in der DDR weniger erwünscht. Man wollte sogenannte fortschrittliche Bilder sehen, die nach der Meinung dieser politischen Leute in meinem Oeuvre [Anm: das gesamte Werke eines Künstlers] überhaupt nicht vorhanden waren. Wenn ich zum Beispiel ein Bild malte mit einen Bauernstall und mit Kühen, ja so musste das Bild natürlich „LPG-Rote Rübe“ heißen. Ich bekam eine Auszeichnung für ein Still-Leben mit dem Titel „Welke Rosen“. Ja, da wurde mir gesagt: „In der DDR gibt es keine welken Blumen. Da blüht alles hervorragend. Da gibt es keine welken Rosen.“ Ich meine, das ist natürlich kindisch, so etwas überhaupt zu erwähnen. Aber das waren so die Macher, die nichts mit Kunst zutun haben, sondern nur von ihrer politischen Ideologie ausgingen. Mir gefiel so etwas nicht. Ich habe diesen Kram einfach nicht mit gemacht.

Dr. Elke Purpus:

Sie erzählen das so locker und auch humorvoll, aber ich denke in der Realität war es dann doch anders. Teilweise waren Sie ja auch in Ihrer Existenz bedroht. Sie und Ihre Frau hatten mir die Möglichkeit gegeben, in die Stasi-Akten reinzuschauen. Dort wird ja jetzt sehr interessant dokumentiert, wie es Ihnen jedes Mal nach den Wahlen gegangen ist, an denen sie nicht teilgenommen haben. Können Sie uns schildern, wie das Procedere war?

Heinz Tetzner:

Ja, das waren mehrere Ereignisse. Ich wurde in den 60er Jahren vom Ministerium, als Dozent an eine Fachschule für bildende Kunst im Erzgebirge in dem Ort Schneeberg eingestellt. Da hatte ich schon den Gedanken: “O, ist das eine Falle oder haben sie da irgendwie etwas vergessen, was sie vielleicht später bereuen durften.“ Nein, es war so: Es war ein Dozent an dieser Schule erkrankt und man konnte nach der Meinung der Direktion keinen besseren finden wie mich. Ich muss mich ja mal loben. Aber jedenfalls wurde ich eingestellt und ich habe dort ein Jahr lang zelebrieren können, so wie ein Pfaff unter Schülern. Und sie waren begeistert von meinem Unterricht. Aber als dann kurz nach der Semesterpause wieder eine Wahl stattfand, musste ich wieder gehen. Also es wurde dann nicht lang gefackelt. Ich hatte dann die Wahl, entweder zur Wahl zu gehen oder nicht, aber es war keine Wahl. Und ich ging eben nicht zur Wahl. Durch meine Ablehnung zur Wahl zu gehen, wurde ich wieder ein freier Künstler. Ja, das waren meine Nachteile, die sich natürlich wirtschaftlich enorm auswirkten. Meine Frau war so nett und hatte bei einem Anwalt eine Arbeitsstelle angenommen und sie verdiente so zu sagen die Brötchen … und ich konnte dann eben rein künstlerisch weiter arbeiten. Auf diese Weise habe ich auch heute noch eine Unmenge Bilder in meinem kleinen Haus. Ja, das ist eben auch ein Vorteil, wenn man konsequent ist.

Dr. Elke Purpus:

In den Stasi-Akten heißt es, man verstände nicht, warum Sie dort so positiv angesehen seien. Auch fragte man sich, ob das alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Ich fand es so erschreckend, dass man nach den Wahlen Ihre Nachbarn befragt hat. Auch in der Schule fragte man, wie das möglich sei, dass Sie eine solche Anstellung haben könnten. Ich fand das sehr unangenehm.

Heinz Tezner:

Ja auf einem Dorf ist das so. Da kennt jeder jeden und da wurde man bespitzelt. Ich habe das augenzwinkernd hingenommen. Das war nun mal so. Ich habe auch getestet, wie weit ich den Bogen spannen kann, um eine Anstellung zu bekommen. Ich habe sogar mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, den ich sehr gut kannte, an das Ministerium geschrieben. Meine Anfrage wurde immer mit „wenn und aber“ abgelehnt. Es ging einfach nicht. Das war auch so in den Jahren in Weimar an der Hochschule für bildende Kunst. Mein Chef, Dr. Henzelmann ließ mich zu sich kommen und sagte: „Sie können jetzt wählen. Entweder Sie gehen zur Wahl oder ich muss Sie leider entlassen.“ Das war sehr höflich. Er hat dann die Entlassung auf geschickte Weise mit ‚Strukturveränderung’ in der Schule begründet. Das war sehr schlau und human. Er wollte eigentlich mich nicht gern einbüßen. Aber wie gesagt, es war eben die Sturheit des Tetzners.


Dr. Elke Purpus:

Als Sie an der Hochschule in Weimar nicht mehr lehren konnten, sind Sie zurück nach Gersdorf gegangen. Sie waren dann auch wieder mit ihrer Frau zusammen, die dort bereits lebte.

Sie haben versucht in den Verband bildender Künstler aufgenommen zu werden. Das hat aber nicht gleich geklappt. Warum wollten Sie überhaupt in den Verband bildender Künstler aufgenommen werden?

Heinz Tetzner:

Das war nicht aus Eitelkeit, um zu sagen zu können: “Ich bin Künstler,“ sondern damit waren diese wirtschaftlichen Dinge verbunden, die man einfach haben musste. Wenn man aufgenommen wurde, bekam man im Winter z. B. eine Karte für Kohlen und man hatte da so kleine, kleine, kleine Vorrechte. Man konnte dadurch bei Einkäufen Farben und Leinwände und Utensilien besser bekommen. Oder man konnte an Ausstellungen teilnehmen, die man sonst nicht beschicken konnte und so weiter. Es waren also gewisse Vorteile vorhanden, die ich natürlich auch versucht, in Anspruch zu nehmen. Das war ja mein gutes Recht. Ich wurde aber abgelehnt mit der Begründung, wörtlich: „Es ist zwar ein hervorragendes Talent vorhanden, aber diese Arbeiten stimmen nicht mit diesen Vereinbarungen unserer politischen Ideologie überein. Und deshalb können wir Sie nicht in unseren Verband unserer Deutschen Demokratischen Republik aufnehmen.“ Nun ja. Ich habe es hingenommen. Da stand mir aber das Recht zu, mich innerhalb von 8 Tagen zu beschweren, und ich habe tatsächlich eine Beschwerde eingereicht und ich habe gefragt, ob denn nur Flöte spielende Kinder oder Mädchen in der DDR aufgenommen würden, die ein blaues Hemd anhatten und so weiter. Ich bin da auch sehr deutlich geworden. In dem damaligen Bereich des Kulturministeriums war der Prof. Otto Nagel tätig. Er war ein Berliner Maler. Er war Präsident im Verband „Bildender Künstler“ und er hat sich sofort dieser Sache angenommen und gratulierte mir schon im Voraus für die Aufnahme, obwohl ich noch gar nicht vom Verband in Chemnitz aufgenommen worden war. Aber ich war in Berlin schon durch Prof. Nagel sicher aufgenommen. Ich hatte nun das Glück im Verband „Bildender Künstler“ zu sein.


Dr. Elke Purpus:

Im Endeffekt dauerte es aber noch 2 Jahre bis Sie aufgenommen wurden.

Heinz Tetzner:

Natürlich. Man musste dann erstmal erklären, was man so macht. Ich habe heute noch diese Utensilien, um da noch einmal reinzuäugen. Es ist im Nachhinein auch ein Amüsement, was man gerne mal liest.

Dr. Elke Purpus:

Im Nachhinein ja. [Anm.: Beide lachen]

Es war ja nicht so einfach an Material zu kommen, das Sie für Ihre Zeichnungen und auch für Ihre Holzschnitte brauchten. Deshalb ist auch dieser Holzschnitt, den wir hier sehen, sehr interessant. Können Sie uns erklären, warum diese beiden Linien, auf dem Holzschnitt zu sehen sind?

Heinz Tetzner:

Ja, es waren ganz einfache Kuchenbretter. Es war sehr schwierig solche Formate in Holz zu bekommen. Kein Tischler hatte das vorrätig und wenn, dann musste man eine Gegenleistung in Form von Fressalien oder Materialen bringen. Geld war ja nicht so wichtig. Das hatte ich ja auch nicht. Eines Tages kam ich in ein Konsumgeschäft Da lagen stapelweise Kuchenbretter. Das sah ich und ich habe die Formate beäugt. Ich ließ mir von der jungen Verkäuferin ein Metermaß geben. Ich maß dann und stellte fest, dass dies die Formate für meine Holzschnitte sind. So kam ich auf die Idee diese Kuchenbretter zu kaufen. Die Verkäuferin wunderte sich nur, in welch hoher Anzahl ich Kuchenbretter kaufte. Sie fragte: „Backen Sie denn soviel Kuchen?“ „Natürlich.“

Dr. Elke Purpus:

Ich habe gerade ein Zeichen bekommen, dass die vorgesehene Zeit für das Interview abgelaufen ist. Ich bedanke mich bei Ihnen recht herzlich für das Gespräch.

© Ingeborg Lüdtke

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Der Mitschnitt des Interviews wurde am 27. Januar 2005 im StadtRadio gesendet.

Anmerkung:

Das Künstlerhaus mit Galerie e.V war nicht bereit die Bilder von Heinz Tetzner auszutellen, da man der Meinung war, dass das Thema NS-Geschichte noch nicht wieder interessant für sie sei.

Eine Ausstellung in einem renomiertem Altersheim in Göttingen mit Ausstellungsmöglichkeiten lehnte mit der Begründung ab, dass diese Bilder den Bewohnern nicht zumutbar seien, außerdem befänden sich in dem Heim eher “Täter” als “Opfer” aus der NS-Zeit.


Literaturhinweis:

Hans Hesse/Elke Purpus, Heinz Tetzner: Geschriebenes. Das druckgrafische Werk, Klartext Verlag, Essen 2006

Charlotte Tetzner, Frierende. Mit Zeichnungen und Holzdrucken von Heinz Tetzner, Klartext Verlag, Essen 2004

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