Keiner wollte etwas wissen

Der Mitschnitt der Lesung wurde am 27. Januar 2005 im StadtRadio gesendet

Zeitzeugin Charlotte Tetzner las im Holbornschen Haus aus ihrem Buch “Frierende

 

Der Historiker Dr. Hans Hesse mit Charlotte Tetzner im Holbornschen Haus

Der Historiker Dr. Hans Hesse mit Charlotte Tetzner im Holbornschen Haus in Göttingen

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“ las Zeitzeugin Charlotte Tetzner vor 80 Anwesenden aus ihrem neuen Buch „Frierende“. Mit der Inhaftierung Charlotte Tetzners im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück beginnt der Leidensweg der 1920 geborenen Zeugin Jehovas durch fünf nationalsozialistische Konzentrationslager. Verhaftet wurde sie als Kommunistin, im Lager war sie mit Zeuginnen Jehovas zusammen und weigerte sich dann dem neu erworbenen Glauben abzuschwören. Im KZ Auschwitz trennte sie den roten Winkel der Kommunisten ab und nähte sich den lila Winkel der „Bibelforscher“ an ihre Kleidung. Nach der Räumung von Auschwitz im Januar 1945 kam sie auf Irrwegen über Bergen-Belsen in das KZ Mittelbau-Dora. Nach der Bombardierung Nordhausens im April 1945 endete der Todesmarsch im Harz , Charlotte Tetzner und 25 Glaubensschwestern waren plötzlich frei.

Nach Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft kehrte Charlotte Tetzner in ihre sächsische Heimatstadt zurück, wo sie erneut verfolgt wurde. Die DDR-Behörden entziehen ihr den Status „Opfer des Faschismus“. Mit 80 Jahren begann sie ihre Erlebnisse aufzuschreiben. Bis in die 90ziger Jahre „wollte keiner was wissen“, antwortet sie nachdenklich auf Fragen.

Ihr Mann Heinz Tetzner

Heinz TetznerHeinz Tetzner der ebenfalls 1920 geboren ist, studierte Kunst in Weimar. Da seine Kunst nicht der offiziell geforderten Kunst entsprach und er sich als Zeuge Jehovas nicht an den Wahlen in der DDR beteiligte, wurde er beruflich immer wieder behindert. Erst nach dem Ende der DDR wurde sein Schaffen durch den Bundesverdienstpreis 1. Klasse und durch die Eröffnung des Heinz Tetzner-Museums

Heinz-Tetzner-Museum in Gersdorf in Gersdorf gewürdigt. Er wurde in Göttingen von der Kunsthistorikerin Dr. Elke Purpus vorgestellt, die früher an der Universitätsbibliothek Göttingen tätig war und jetzt als Direktorin die Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln leitet. Seine Bilder und Holzschnitte waren den DDR-Kunstverantwortlichen nicht „schön“ genug, enthalten sie doch oft düstere Szenen, ausdrucksstarke Gesichter, die oft Tetzner Bilder aus Frierende024Tetzner PurpusGefühle der Trauer, des Leids und der Wut ausdrücken. Tetzner bleibt sich ein Leben lang treu, „schreibt in seinen Bildern alles nieder“. Auch wenn ihm immer wieder von der Partei signalisiert wird, dass „es in der DDR keine verwelkten Rosen gibt“.

Der Historiker Dr. Hans Hesse, der in der Gedenkstätte KZ Moringen die Verfolgung der Zeuginnen Jehovas erforscht hatte, moderierte die Veranstaltung. Die Doppelverfolgung der Zeugen Jehovas im NS-Regime und in der DDR sei historisch einzigartig. Während andere Historiker bei Zeugen Jehovas von geistigem oder religiösem Widerstand sprechen, sprach Hesse vom Verfolgtenwiderstand.

Ein Höhepunkt der Veranstaltungsreihe ist am 27.01.2005 um 20 Uhr im Alten Rathaus. 60 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz liest Manfred Lahnstein aus der Lebensgeschichte seiner Schwiegereltern „Massel und Chuzpe – Wie Blanka und Rudolf den Holocaust überlebten“.

© Giselher F.O. Reichert, mit freundlicher Genehmigung

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