Der Stolperstein wurde am 3. Februar 2025 in Benterode, Gemeinde Staufenberg, Am Ring 8 verlegt.

Heinrich Mühlhausen wurde am 13. Mai 1905 in Benterode als jüngstes von vier Kindern geboren. Seine Eltern, der Fabrikarbeiter Johann Heinrich Justus Mühlhausen und Sophie Löwermann, hatten am 20. April 1890 geheiratet und sich in Benterode niedergelassen. Heinrich und seine älteren Geschwister Eduard (1894), Karl (1896) und Minna (1899) wurden im evangelisch-lutherischen Glauben erzogen.
Ab 1911 besuchte Heinrich die Schule in Benterode, die er 1919 im Alter von 14 Jahren erfolgreich abschloss. Zu dieser Zeit tobte der Erste Weltkrieg und sein Bruder Karl fiel am 15. November 1917 als Soldat in Flandern. So lernte Heinrich schon mit 12 Jahren ganz persönlich die hässliche Seite des Krieges kennen.
Bild: Heinrich Mühlhausen (Privatbesitz Koch) |
Was er in den Jahren 1919 bis Anfang 1927 beruflich machte, ist nicht bekannt. Heinrich wollte gerne Lehrer werden, aber da ein Studium für ihn nicht möglich war, entschied er sich für eine Laufbahn bei der Polizei. Am 11. Mai 1927 begann er seine Ausbildung als Polizeianwärter an der Polizeischule in Hann. Münden.
Nach bestandener Abschlussprüfung am 30. März 1928 trat er am 1. April 1928 in den Polizeidienst bei der Preußischen Polizei in Kassel ein. Dort war er die nächsten sechs Jahre als Polizeiwachtmeister tätig.
Bild: Heinrich Mühlhausen als Schutzpolizist (Privatbesitz Koch) |
Ende der zwanziger Jahre kam Heinrich durch die Tante seiner späteren Frau Minna Kraft mit den Lehren der Bibelforscher – wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden – in Berührung. Was er in den intensiven Bibelgesprächen mit Tante Elli Gobrecht aus Speele lernte, gefiel ihm sehr. So entschloss er sich 1931 im Alter von 26 Jahren, selbst Zeuge Jehovas zu werden. Auch Minna Kraft war vom Glauben ihrer Tante angetan. Dieses gemeinsame Interesse brachte die beiden einander näher.


Schließlich heirateten Heinrich und Minna am 13. Mai 1933, und das junge Ehepaar bezog eine Wohnung in der Tannenstraße 15 in Kassel.
Bild: Heinrich und Minna Mühlhausen bei einem Betriebsausflug der Polizei Anfang der 1930er Jahre (Privatbesitz Koch) |
Im gleichen Haus wohnte Julius Hochgräfe, der damalige Gemeinde-leiter der Zeugen Jehovas in Kassel. Die beiden verband bald eine tiefe Freundschaft. Durch diese enge Verbindung zu Julius Hochgräfe, der schon früh ins Visier der Gestapo geriet, zog Heinrich ebenfalls die Aufmerksamkeit auf sich. In einer Liste des Sicherheitsdienstes des SS Oberabschnitts Fulda-Werra vom Juli 1937 finden sich neben vielen anderen aus der Kasseler Gemeinde auch die Namen von Heinrich und Minna Mühlhausen.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Tätigkeit von Jehovas Zeugen in Deutschland ab April 1933 schrittweise eingeschränkt. Unter den damit verbundenen Schikanen und Repressalien hatten auch Heinrich und Minna Mühlhausen zu leiden. Vor allem für Heinrich wurde es immer schwieriger, politisch neutral zu bleiben. Aus Gewissensgründen verweigerte er den Hitlergruß, den Eid auf den Führer und den Dienst mit der Waffe. Schließlich wurde er am 1. April 1934 wegen seiner religiösen Einstellung als Zeuge Jehovas aus dem Polizeidienst entlassen.
Nach seiner Entlassung mussten Heinrich und seine Frau ihre Wohnung in Kassel aufgeben. Sie zogen zurück nach Benterode und wohnten bei Minnas Eltern August und Luise Kraft – damals in der Dorfstraße 51 (heute: Am Ring 8). Heinrich und Minna setzten sich weiterhin für ihre Überzeugung ein. Auch das reichsweite Verbot der Tätigkeit der Zeugen Jehovas am 1. April 1935 änderte nichts an ihrer Haltung. Für Heinrich war es deshalb schwierig, eine feste Anstellung zu finden, und er hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. So arbeitete er beim Autobahnbau in der Nähe von Kassel und half zeitweise in der Landwirtschaft auf Gut Ellenbach.
Im November 1936 kam dann das einzige Kind – die Tochter Christa – auf die Welt.
Am Abend des 14. Mai 1938 fand eine Hausdurchsuchung statt und Heinrich wurde festgenommen. Gleichzeitig wurde auch sein Freund Karl Meyer (*25. Mai 1877 in Bevern) aus Speele verhaftet. Nach zwei Tagen Haft im Landgerichtsgefängnis Göttingen wurden sie am 17. Mai 1938 der Gestapo Hildesheim überstellt.
Am 19. Mai 1938 erfolgte die Überführung in das Konzentrationslager Buchenwald. Wenige Tage später, am 31. Mai 1938, wurden Heinrich und Karl gemeinsam zur Vernehmung in das Polizeipräsidium Hannover gebracht. Die Rücküberstellung in das KZ Buchenwald erfolgte am 25. Juni 1938. Beide wurden nun der Häftlingskategorie „Bibelforscher“ zugeordnet, weshalb sie den lila Winkel tragen mussten.
Seine Familie in Benterode wusste fast ein Jahr lang nicht, wo er war und ob er überhaupt noch am Leben war. Heinrich verbrachte zwei Monate in der Strafkompanie. Das bedeutete schwerste körperliche Arbeit in den Steinbrüchen, sieben Tage die Woche. Dieser Arbeitseinsatz war so hart, dass viele Häftlinge das nicht überlebten. Immer wieder musste Heinrich mit ansehen, wie Menschen um ihn herum durch die grausame Behandlung der SS starben. Später berichtete er über diese Zeit, dass er durch die schwere Arbeit und die mangelhafte Ernährung völlig entkräftet zusammenbrach.
Moritz Zahnwetzer, ein politischer Häftling aus Sandershausen, war ebenfalls einige Jahre im KZ Buchenwald inhaftiert. In seinem Buch über diese Zeit schildert er den brutalen Lageralltag. So berichtet er, dass sein Überleben oft davon abhing, dass seine Kameraden ein gutes Wort für ihn einlegten. Mehr als einmal sorgten sie dafür, dass er eine andere Arbeit bekam. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass auch Heinrich nur durch die Fürsprache seiner Freunde überlebt hat. Denn nach seinem Zusammenbruch erhielt er eine neue Arbeit im Häftlingsmagazin. So konnte er sich ein wenig erholen. Dort blieb er bis Ende 1943.
Danach war er im Arbeitskommando „25a“ eingesetzt. Es wird vermutet, dass es sich um eine Tätigkeit in der „Lager-Apotheke“ handelte. Vermutlich versorgten die dort eingesetzten Häftlinge das Lazarett mit Medikamenten, sofern welche vorhanden waren.
Postkarte mit Christa Koch auf dem Schlitten (Privatbesitz Koch) |
Als Karl Meyer am 24. April 1939 entlassen wurde und nach Speele zurückkehrte, konnte er Minna endlich berichten, was mit Heinrich geschehen war. Ein Mitglied der Familie Zahnwetzer machte daraufhin Fotos von der Familie und druckte sie als Postkarten. So konnte man Heinrich Bilder seiner Tochter zukommen lassen. Diese Postkarten brachte er bei seiner Befreiung mit nach Hause. Einige davon befinden sich noch im Besitz der Familie.

Sieben Jahre in dieser menschenverachtenden Umgebung und unter der brutalen Behandlung konnten Heinrich nicht von seiner Überzeugung abbringen. In einem Vermerk der Kommandantur des KZ Buchenwald heißt es über ihn: „Der Schutzhäftling ist nach wie vor hartnäckiger Bibelforscher und weigert sich, von der Irrlehre der Bibelforscher abzulassen.“
Aus dem Zeitzeugenbericht seines Mithäftlings Johannes Rauthe geht zudem hervor, dass er im Lager die heimliche Vervielfältigung von biblischen Schriften für die Mitgefangenen unterstützte.
Sein starker Glaube und seine feste Überzeugung halfen ihm durch diese schweren Jahre.
Nach der Befreiung des Lagers durch die US-Armee im April 1945 wurde Heinrich am 6. Mai 1945 entlassen und konnte nach Benterode zurückkehren. Die Amerikaner, die damals in Benterode stationiert waren, spendierten einen Eimer Pancake-Teig und Vanilleeis, damit Heinrich seine Heimkehr mit Familie und Freunden feiern konnte.
Nachdem er sich von den Strapazen einigermaßen erholt hatte, übernahm er bald die Leitung regel-mäßiger Bibelgespräche im Wohnzimmer seiner Schwiegereltern. Und am 25. November 1945 konnte er sich endlich als ein Zeuge Jehovas taufen lassen – 14 Jahre, nachdem er sich für diesen Lebensweg entschieden hatte.
Frei über seinen Glauben sprechen zu können und sich mit anderen zu versammeln, war ihm für den Rest seines Lebens sehr wichtig.
Vom 25. September 1946 bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Postfacharbeiter bei der Deutschen Bundespost in Kassel.
Viel zu früh verlor er seine geliebte Frau durch den Tod. Am 25. Februar 1956 starb Minna nach einer Operation an einer Embolie. Im Alter von nur 50 Jahren war er Witwer geworden. Zwei Jahre später fand er sein spätes Glück mit der Witwe Emilie Elfriede Littmann. Am 14. Juni 1958 heirateten sie in Escherode.
Anfang der 1970er Jahre erkrankte Heinrich schließlich an Darmkrebs, an dessen Folgen er am 27. Oktober 1974 verstarb. Bis zuletzt galt er als positiver Mensch, der trotz seiner traumatischen Erlebnisse nie verbittert war.
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Quellen:
- Individuelle Häftlingsunterlagen, KL Buchenwald, Akte Heinrich Mühlhausen, geb. am 13.05.1905/ 01010503 001.350.354/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, HHStAW, 342, Nr. 1181, Wiedergutmachungsakte.
- Niedersächsisches Landesarchiv, Abteilung Wolfenbüttel.
- Kammler, Jörg: „Ich habe die Metzelei satt und laufe über…“, Kasseler Soldaten zwischen Verweigerung und Widerstand (1939-1945), Fuldabrück 1985, S. 144-146.
- Rauthe, Johannes, Geschichtsbericht, Calw 1973, Jehovas Zeugen Archiv Zentraleuropa, Selters/Ts.
- Zahnwetzer, Moritz: „KZ Buchenwald: Erlebnisbericht“, Kassel 1946.
- Mündener Allgemeine Nr. 22/2023, Artikel vom 26.01.2023: „Er überlebte die Hölle“.
- Kassel-West e.V., Verfolgte Zeugen Jehovas, in: vorderer-westen.net, https://www.vorderer-westen.net/geschichte/stadtteilgeschichte/verfolgte-zeugen-jehovas, letzter Zugriff: 12.01.2025.
Besonderer Dank für die Unterstützung bei den Recherchen geht an:
René Emmendörffer (Archiv – Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora)
Stefan Lochner (Bibliothek – Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora)
Brigitte Junghardt (Niedersächsisches Landesarchiv, Wolfenbüttel)
Vanessa Kühne (Landkreis Göttingen, Kreisarchiv Osterode)
Frank Hartmann (Standesamt Staufenberg)
Marcel Spohr (Ortsheimatpfleger Benterode)
Marc Brunning (Gemeideheimatpfleger Staufenberg)
Die Verlegung des Stolpersteins am 3. Februar 2025 erfolgte mit der freundlichen Unterstützung von „Stolpersteine in Kassel e.V.“.
